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vortraege [2024/05/09 11:56] – [Wie ethnozentrisch ist die Sozialpädagogik?] adminvortraege [2024/05/09 18:19] (aktuell) – [Trump – der Repräsentant des 21. Jahrhunderts] admin
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 Dirim,I./Gomolla,M./Hornberg,S./Mecheril,P./Stojanov,K.(Hrsg.) (2010): Spannungsverhältnisse. Assimilationsdiskurse und interkulturell-pädagogische Forschung, Münster u.a. Dirim,I./Gomolla,M./Hornberg,S./Mecheril,P./Stojanov,K.(Hrsg.) (2010): Spannungsverhältnisse. Assimilationsdiskurse und interkulturell-pädagogische Forschung, Münster u.a.
  
-Grundwald, K./Thiersch, H. (2015): Lebensweltorientierung. In: Otto, H.-U. /Thiersch, H. (Hrsg.) (2015): Handbuch Soziale Arbeit. 5. Erweiterte Auflage, München/Basel, S. 934-943.+Grunwald, K./Thiersch, H. (2015): Lebensweltorientierung. In: Otto, H.-U. /Thiersch, H. (Hrsg.) (2015): Handbuch Soziale Arbeit. 5. Erweiterte Auflage, München/Basel, S. 934-943. 
 Hurrelmann, K./Albrecht, E. (2014): Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert. Weinheim und Basel. Hurrelmann, K./Albrecht, E. (2014): Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert. Weinheim und Basel.
  
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 **Vortrag am 30.4.2017, Haus des Deutschen Gewerkschaftsbundes Mainz** **Vortrag am 30.4.2017, Haus des Deutschen Gewerkschaftsbundes Mainz**
  
-**Der Gegenstand: Kommunikation** +**Der Gegenstand: Kommunikation**\\ 
-Nach Pegida und AfD haben die talkshows im Fernsehen seit Anfang Januar 2016 ein neues Fressen gefunden: die gefährlichen jungen Männer aus Marokko. Zwar ist über die tatsächlichen Vorgänge, weil die Polizei jetzt gründlich arbeitet, wenig bekannt. Aber genau dies, dass man Genaues nicht weiß, ist ideal für Diskurse, die sich ihrer empirischen Basis nicht vergewissern brauchen und wollen. Es geht um Vorstellungen und Phantasien in den Köpfen von Millionen, die nur medial etwas vom Thema erfahren. +Nach Pegida und AfD haben die talkshows im Fernsehen seit Anfang Januar 2016 ein neues Fressen gefunden: die gefährlichen jungen Männer aus Marokko. Zwar ist über die tatsächlichen Vorgänge, weil die Polizei jetzt gründlich arbeitet, wenig bekannt. Aber genau dies, dass man Genaues nicht weiß, ist ideal für Diskurse, die sich ihrer empirischen Basis nicht vergewissern brauchen und wollen. Es geht um Vorstellungen und Phantasien in den Köpfen von Millionen, die nur medial etwas vom Thema erfahren.\\ 
-In der öffentlichen Diskussion werden Meinungen gebildet und die Orientierungsmuster vermittelt, die angesichts der gesellschaftlichen Verunsicherung durch Polarisierung und Verlust des Systemvertrauens gebraucht werden. Monatelang waren die Talkshows im Jahr 2015 mit PEGIDA angefüllt; danach kam die AfD zu dieser Chance der Selbstdarstellung. Diese Shows folgen der Logik, dass die aggressivsten und auffälligsten Meinungen am meisten honoriert werden. So werden Gewalt und Kriminalität, unmoralisches und abweichendes Handeln honoriert. Gleichzeitig wird „Normalität“ als die jeweils dargestellte Konformität der „rechtschaffenen Bürger“ hergestellt. Politisch bieten die Medien eine Plattform für die seriös sich gerierenden extremistischen Haltungen, ohne dass sie sich selbst dem Vorwurf der Agitation aussetzen müssen. Journalisten können mit ihren Entscheidungen, Pluralität darzustellen, zugleich ihre eigenen Auffassungen kaschieren. Bei genauerer Untersuchung wird dies sichtbar. +In der öffentlichen Diskussion werden Meinungen gebildet und die Orientierungsmuster vermittelt, die angesichts der gesellschaftlichen Verunsicherung durch Polarisierung und Verlust des Systemvertrauens gebraucht werden. Monatelang waren die Talkshows im Jahr 2015 mit PEGIDA angefüllt; danach kam die AfD zu dieser Chance der Selbstdarstellung. Diese Shows folgen der Logik, dass die aggressivsten und auffälligsten Meinungen am meisten honoriert werden. So werden Gewalt und Kriminalität, unmoralisches und abweichendes Handeln honoriert. Gleichzeitig wird „Normalität“ als die jeweils dargestellte Konformität der „rechtschaffenen Bürger“ hergestellt. Politisch bieten die Medien eine Plattform für die seriös sich gerierenden extremistischen Haltungen, ohne dass sie sich selbst dem Vorwurf der Agitation aussetzen müssen. Journalisten können mit ihren Entscheidungen, Pluralität darzustellen, zugleich ihre eigenen Auffassungen kaschieren. Bei genauerer Untersuchung wird dies sichtbar.\\ 
-Hinzu kommt ein zweites Element in den Darstellungen von Flucht, Kriminalität und anderen Formen der scheinbaren Bedrohung. Insbesondere in den Bildern von der Silvesternacht 2015 in Köln, die vielfach einen völlig nichtssagenden Inhalt hatten, wurde die Bedrohung „auf den Begriff gebracht“, vielleicht gerade deshalb, weil das Bild diffus war. Die Dramatisierung durch die Bilder hinterlässt mehr Schrecken als im Moment der Wahrnehmung bewusst wird. Es bildet sich ein stabiles kollektives Unbewusstes heraus, das jederzeit mobilisiert werden kann. Angst und Schrecken sind sein Inhalt, verbunden mit bestimmten Vorstellungen und Zuschreibungen. +Hinzu kommt ein zweites Element in den Darstellungen von Flucht, Kriminalität und anderen Formen der scheinbaren Bedrohung. Insbesondere in den Bildern von der Silvesternacht 2015 in Köln, die vielfach einen völlig nichtssagenden Inhalt hatten, wurde die Bedrohung „auf den Begriff gebracht“, vielleicht gerade deshalb, weil das Bild diffus war. Die Dramatisierung durch die Bilder hinterlässt mehr Schrecken als im Moment der Wahrnehmung bewusst wird. Es bildet sich ein stabiles kollektives Unbewusstes heraus, das jederzeit mobilisiert werden kann. Angst und Schrecken sind sein Inhalt, verbunden mit bestimmten Vorstellungen und Zuschreibungen.\\ 
-In der ungehemmten Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Werbeeinnahmen wird die Berichterstattung der Medien hektischer und aufgeregter und produziert so eine Steigerung von Ängsten. Und selbst wenn immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass beispielsweise „die meisten Muslime in Deutschland friedfertig“ seien – die Bilder sprechen eine andere Sprache. Die mit den Bildern transportierten Vorstellungen von Personen und Gruppen bzw. von Situationen legen fest, auf wen sich die Ängste beziehen können. Vor allem wird der Eindruck gefestigt, und dies ist ein altes nationalistisches Motiv: alles Unheil kommt „von draußen“, aus dem Ausland. Das eine Muster wird verstärkt: Gefahren, Kriminelle und Terroristen kommen von außen in „unsere“ Gesellschaft hinein. „Wir“ sind der friedliche Hort der Menschenrechte und die Erben von Freiheit und Gleichberechtigung. Die „anderen“ sind die Bedrohung. Dabei ist gerade der Terror schon lange da, von „uns“ selbst erzeugt: sowohl in den banlieus der französischen und belgischen Städte als auch in den nationalistischen Milieus Deutschlands – nicht nur in Ostdeutschland. Dass wir mit mehr als tausend Straftaten im Jahr 2015 gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte den Terror im eigenen Land hervorbringen, der aber so nicht bezeichnet wird, dass der IS von vielen Tausend jungen Menschen aus Mitteleuropa genährt wird, dass die Terroristen von Paris und Brüssel in Europa aufgewachsen sind – all dies wird zur Seite geschoben.+In der ungehemmten Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Werbeeinnahmen wird die Berichterstattung der Medien hektischer und aufgeregter und produziert so eine Steigerung von Ängsten. Und selbst wenn immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass beispielsweise „die meisten Muslime in Deutschland friedfertig“ seien – die Bilder sprechen eine andere Sprache. Die mit den Bildern transportierten Vorstellungen von Personen und Gruppen bzw. von Situationen legen fest, auf wen sich die Ängste beziehen können. Vor allem wird der Eindruck gefestigt, und dies ist ein altes nationalistisches Motiv: alles Unheil kommt „von draußen“, aus dem Ausland. Das eine Muster wird verstärkt: Gefahren, Kriminelle und Terroristen kommen von außen in „unsere“ Gesellschaft hinein. „Wir“ sind der friedliche Hort der Menschenrechte und die Erben von Freiheit und Gleichberechtigung. Die „anderen“ sind die Bedrohung. Dabei ist gerade der Terror schon lange da, von „uns“ selbst erzeugt: sowohl in den banlieus der französischen und belgischen Städte als auch in den nationalistischen Milieus Deutschlands – nicht nur in Ostdeutschland. Dass wir mit mehr als tausend Straftaten im Jahr 2015 gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte den Terror im eigenen Land hervorbringen, der aber so nicht bezeichnet wird, dass der IS von vielen Tausend jungen Menschen aus Mitteleuropa genährt wird, dass die Terroristen von Paris und Brüssel in Europa aufgewachsen sind – all dies wird zur Seite geschoben.\\
 Aber selbst dies spielt bei genauerer Betrachtung nur eine untergeordnete Rolle. Fakten, Tatsachen und Zusammenhänge der Außenwelt sind weniger bedeutsam als die inneren Zustände von Personen und ihre Wahrnehmungen im Kommunikationsprozess, die von den inneren Zuständen bestimmt sind. Wer mit seinem Leben unzufrieden ist, überträgt seine Enttäuschung auf Personen und Gruppen, die er moralisch abwerten kann. Panu Poutvaara und Max Steinhardt haben (wieder einmal, nach vielen gleich lautenden sozialpsychologischen Befunden) gezeigt, dass persönliche Gefühle der Frustration, der Bitterkeit und des Neides auf den Erfolg anderer den Hass gegen die Fremden antreiben. („Bitterness in Life and Attitudes Towards Immigration“, CESifo Working Paper No. 5611, November 2015) Und solche Gefühle erscheinen wichtiger als der sozialstrukturelle Status, Alter, Geschlecht und Bildungsgrad. Aber selbst dies spielt bei genauerer Betrachtung nur eine untergeordnete Rolle. Fakten, Tatsachen und Zusammenhänge der Außenwelt sind weniger bedeutsam als die inneren Zustände von Personen und ihre Wahrnehmungen im Kommunikationsprozess, die von den inneren Zuständen bestimmt sind. Wer mit seinem Leben unzufrieden ist, überträgt seine Enttäuschung auf Personen und Gruppen, die er moralisch abwerten kann. Panu Poutvaara und Max Steinhardt haben (wieder einmal, nach vielen gleich lautenden sozialpsychologischen Befunden) gezeigt, dass persönliche Gefühle der Frustration, der Bitterkeit und des Neides auf den Erfolg anderer den Hass gegen die Fremden antreiben. („Bitterness in Life and Attitudes Towards Immigration“, CESifo Working Paper No. 5611, November 2015) Und solche Gefühle erscheinen wichtiger als der sozialstrukturelle Status, Alter, Geschlecht und Bildungsgrad.
-Von Marokko nach Deutschland + 
-Wie trivial die Umstände der Produktion von Fluchtbewegungen sind, kann man am Beispiel der jungen Männer aus Marokko zeigen, die an Sylvester 2015 in Köln durch Diebstahl, Nötigungen und sexuelle Gewalt aufgefallen sein sollen. Aus Marokko hatte Deutschland ab 1963 Gastarbeiter/innen angeworben. Ein kleinerer Teil der Angeworbenen lebt in Deutschland und unterhält Beziehungen zur Verwandtschaft in Marokko. In das Land mit seinen 33 Millionen Einwohnern kommen gegenwärtig pro Jahr acht bis zehn Millionen Touristen, aus Deutschland geschätzte 500.000. Auch die Wirtschaftsbeziehungen sind „großartig“: „Das marokkanische Exportgeschäft im Automobilsektor boomt“, meldet die Deutsche Industrie- und Handelskammer in Marokko im Januar 2016. Die europäischen Global Players im Autobau freuen sich über die billigen Zulieferer. Das Investitionsschutzabkommen von 2004 sorgt dafür, dass den deutschen Akteuren in Marokko nichts passieren kann. Ebenso ein Steuerabkommen, das die Verlagerung von Gewinnen aus Marokko heraus ermöglicht. Das Handels- und Dienstleistungsfreiheitsabkommen mit der EU wird noch verhandelt. Dann ist Marokko frei für die nächste Stufe der wirtschaftlichen Eroberung. Die globalen Wanderungsbewegungen folgen in zentralen Linien den Wegen des Geldes. Das zeigt sich am Verhältnis der armen und reichen Länder.+**Von Marokko nach Deutschland**\\ 
 +Wie trivial die Umstände der Produktion von Fluchtbewegungen sind, kann man am Beispiel der jungen Männer aus Marokko zeigen, die an Sylvester 2015 in Köln durch Diebstahl, Nötigungen und sexuelle Gewalt aufgefallen sein sollen. Aus Marokko hatte Deutschland ab 1963 Gastarbeiter/innen angeworben. Ein kleinerer Teil der Angeworbenen lebt in Deutschland und unterhält Beziehungen zur Verwandtschaft in Marokko. In das Land mit seinen 33 Millionen Einwohnern kommen gegenwärtig pro Jahr acht bis zehn Millionen Touristen, aus Deutschland geschätzte 500.000. Auch die Wirtschaftsbeziehungen sind „großartig“: „Das marokkanische Exportgeschäft im Automobilsektor boomt“, meldet die Deutsche Industrie- und Handelskammer in Marokko im Januar 2016. Die europäischen Global Players im Autobau freuen sich über die billigen Zulieferer. Das Investitionsschutzabkommen von 2004 sorgt dafür, dass den deutschen Akteuren in Marokko nichts passieren kann. Ebenso ein Steuerabkommen, das die Verlagerung von Gewinnen aus Marokko heraus ermöglicht. Das Handels- und Dienstleistungsfreiheitsabkommen mit der EU wird noch verhandelt. Dann ist Marokko frei für die nächste Stufe der wirtschaftlichen Eroberung. Die globalen Wanderungsbewegungen folgen in zentralen Linien den Wegen des Geldes. Das zeigt sich am Verhältnis der armen und reichen Länder.\\
 Es ist nicht so, dass in der Entwicklungshilfe zu wenig gegeben wird. Es ist vielmehr so, dass zu viel genommen wird. Denn nach den Berechnungen des „Internationalen Netzwerkes Steuergerechtigkeit“ fließt aus den sogenannten Entwicklungsländern ein riesiger Strom Geld in die Steueroasen und die reichen Länder der Welt. „Die Entwicklungsländer verlieren durch illegale Finanzströme jährlich ein Vielfaches dessen an Kapital, was sie durch öffentliche Entwicklungshilfe erhalten. Allein durch Preismanipulationen von Konzernen verlieren die armen Länder jährlich 160 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen; das ist deutlich mehr als sie an Entwicklungshilfe erhalten.“ (Markus Meinzer: Der neue Kolonialismus, SZ 12.4.2013, S.2) Der Außenhandelsüberschuss für Deutschland betrug im Handel zwischen Deutschland und Marokko 2012 „nur“ 820 Millionen Euro; denn weder ist Deutschland für Marokko noch Marokko für Deutschland ein sehr wichtiger Handelspartner. Aber es geht hier ja um den Kontext, in dem offensichtlich junge Menschen aus Marokko nach Deutschland kommen und versuchen, in legalen und illegalen Weisen Geld zu verdienen, das sie (auch) an ihre Familien in Marokko schicken. Es ist nicht so, dass in der Entwicklungshilfe zu wenig gegeben wird. Es ist vielmehr so, dass zu viel genommen wird. Denn nach den Berechnungen des „Internationalen Netzwerkes Steuergerechtigkeit“ fließt aus den sogenannten Entwicklungsländern ein riesiger Strom Geld in die Steueroasen und die reichen Länder der Welt. „Die Entwicklungsländer verlieren durch illegale Finanzströme jährlich ein Vielfaches dessen an Kapital, was sie durch öffentliche Entwicklungshilfe erhalten. Allein durch Preismanipulationen von Konzernen verlieren die armen Länder jährlich 160 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen; das ist deutlich mehr als sie an Entwicklungshilfe erhalten.“ (Markus Meinzer: Der neue Kolonialismus, SZ 12.4.2013, S.2) Der Außenhandelsüberschuss für Deutschland betrug im Handel zwischen Deutschland und Marokko 2012 „nur“ 820 Millionen Euro; denn weder ist Deutschland für Marokko noch Marokko für Deutschland ein sehr wichtiger Handelspartner. Aber es geht hier ja um den Kontext, in dem offensichtlich junge Menschen aus Marokko nach Deutschland kommen und versuchen, in legalen und illegalen Weisen Geld zu verdienen, das sie (auch) an ihre Familien in Marokko schicken.
-Von Deutschland nach Marokko + 
-Die Modernisierung des Landes in vielen Schritten ist der europäisch induzierte Wandel, der auch „unsere“ Freiheiten, Möglichkeiten und Reichtümer mit sich bringt, dessen Früchte aber nur von den europäischen Ländern geerntet werden sollen. Natürlich lassen die Touristen auch Geld im Land – aber den Reibach machen die europäischen Organisatoren des Tourismus. Und die Touristen schwärmen davon, was sie für ihr Geld in Marokko kaufen können. Glauben die jungen Menschen in Marokko, sie könnten den Pfaden des Geldes folgen, dann sind sie illegal, unerwünscht und werden kein Asyl erhalten.+**Von Deutschland nach Marokko**\\ 
 +Die Modernisierung des Landes in vielen Schritten ist der europäisch induzierte Wandel, der auch „unsere“ Freiheiten, Möglichkeiten und Reichtümer mit sich bringt, dessen Früchte aber nur von den europäischen Ländern geerntet werden sollen. Natürlich lassen die Touristen auch Geld im Land – aber den Reibach machen die europäischen Organisatoren des Tourismus. Und die Touristen schwärmen davon, was sie für ihr Geld in Marokko kaufen können. Glauben die jungen Menschen in Marokko, sie könnten den Pfaden des Geldes folgen, dann sind sie illegal, unerwünscht und werden kein Asyl erhalten.\\
 Das Beispiel ist ungeeignet, um die gegenwärtig besonders für Europa relevanten Fluchtursachen zu beschreiben. Denn obwohl Marokko im „Asylpaket 2“ zum sicheren Herkunftsland erklärt wird und der Anschein einer wichtigen, die Einwanderung erheblich vermeidenden Entscheidung erweckt wird, geht es um eine kurzfristige Vermeidungsstrategie zur Abwehr der Flüchtlinge. Noch deutlicher wird der Charakter dieser Politik, wenn man überlegt, was im Falle der Ausweisung der marokkanischen jungen Menschen geschehen wird. Sie haben keine Erlaubnis zur Ausreise beantragt, was im Königreich Marokko wie im guten alten europäischen Feudalismus auch noch üblich ist, und gelten deshalb in Marokko als straffällig. Im Falle der Einkerkerung kann man sich den weiteren Lebens- und Migrationsweg vorstellen. Was aber die Situation der jungen Menschen in Marokko, von denen die Hälfte arbeitslos ist, ändern könnte, wäre der legale Einwanderungspfad für Afrika, den ProAsyl seit vielen Jahren fordert und der für wenige eine reale Chance, für viele aber eine einigermaßen realistische Hoffnung darstellen würde. Das Beispiel ist ungeeignet, um die gegenwärtig besonders für Europa relevanten Fluchtursachen zu beschreiben. Denn obwohl Marokko im „Asylpaket 2“ zum sicheren Herkunftsland erklärt wird und der Anschein einer wichtigen, die Einwanderung erheblich vermeidenden Entscheidung erweckt wird, geht es um eine kurzfristige Vermeidungsstrategie zur Abwehr der Flüchtlinge. Noch deutlicher wird der Charakter dieser Politik, wenn man überlegt, was im Falle der Ausweisung der marokkanischen jungen Menschen geschehen wird. Sie haben keine Erlaubnis zur Ausreise beantragt, was im Königreich Marokko wie im guten alten europäischen Feudalismus auch noch üblich ist, und gelten deshalb in Marokko als straffällig. Im Falle der Einkerkerung kann man sich den weiteren Lebens- und Migrationsweg vorstellen. Was aber die Situation der jungen Menschen in Marokko, von denen die Hälfte arbeitslos ist, ändern könnte, wäre der legale Einwanderungspfad für Afrika, den ProAsyl seit vielen Jahren fordert und der für wenige eine reale Chance, für viele aber eine einigermaßen realistische Hoffnung darstellen würde.
-Zwischen Deutschland und Marokko + 
-Das Beispiel ist aber sehr geeignet, die langfristig wirkenden strukturellen Beziehungen zwischen dem Maghreb und Europa, zwischen den Staaten um das Mittelmeer herum. Während einer Reise Ende Februar 2016 in die Maghreb-Staaten hat Bundesinnenminister De Maizière die Möglichkeiten abgeklärt, Tunesien, Algerien und Marokko als „sichere Herkunftsstaaten“ zu definieren. Dadurch sollen vor allem Abschiebungen erleichtert werden; gleichzeitig geht es um die Beschleunigung von Asylverfahren. Auch im Falle fehlender Personalpapiere soll durch Abgleichung der Fingerabdrücke die Abschiebung durchgesetzt werden können. „Die Klärung soll über Fingerabdrücke erfolgen, Marokko verfüge dazu über eine ‚vorzügliche Datenbank‘, sagte de Maizière.“ (SZ, 1.3.2016, S.1) Spätestens bei dieser Bemerkung kann der aufmerksame Leser aufmerken. Was bedeutet es, wenn ein Staat, der für seine Geheimdienste und die polizeiliche Kontrolle der Bevölkerung bekannt ist, eine solche Datenbasis besitzt? Amnesty International schreibt in seinem Jahresbericht: „The authorities restricted rights to freedom of expression, association and assembly, arresting and prosecuting critics, harassing human rights groups and forcibly dispersing was required. (Amnesty International Report 2015/2016; 23.2.2016) Die mediale Begleitung der Reise des Innenministers verweist in diesem Zusammenhang auf Einwanderungsdaten des Innenministeriums, die in den Statistiken der Einwanderung nicht, oder nur minimal abgebildet sind. So kommt das Herkunftsland Marokko in der Asyl-Statistik des Jahres 2015 nur einmal vor: bei den Rücknahmeersuchen an andere europäische Ankunftsländer, mit 2,3% der Rücknahmeersuchen im Jahr 2014. Von diesen 824 Fällen wurden 147 vollzogen; im Jahr 2015 wurden 112 realisiert. Bei den an den Grenzen aufgegriffenen UMF wurden im Jahr 2014 66 Jugendliche aus Marokko registriert, im Jahr 2015 war Marokko bei den wichtigsten Herkunftsländern nicht vertreten. (Bundestagsdrucksache 18/7625 vom 22.2.2016). +**Zwischen Deutschland und Marokko**\\ 
-In der Ausländerstatistik von 2014 werden 65 000 Personen aus Marokko als in Deutschland lebend aufgeführt; von der Aufenthaltsdauer her ist die größte Gruppe diejenige mit 30 und mehr Jahren Aufenthalt. Die Gesamtzahl der Menschen mit marokkanischer Herkunft wird auf 180.00 geschätzt. Andere Schätzungen nennen 140.000 Personen und weisen darauf hin, dass ca. 7.000 davon Studierende der 2. Generation sind. (de.quantara.de) Wieder andere Quellen sprechen von 130.000 Marokkanern in Deutschland (SWR international, 21.5.2013). Zwischen 2006 und 2012 sind jährlich ca. 3500 Personen zugezogen, während gleichzeitig jeweils 2.500 Personen fortgezogen sind. Dabei handelt es sich um die typische Fluktuation der eingewanderten „Gastarbeiterbevölkerung“. (10. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Oktober 2014).+Das Beispiel ist aber sehr geeignet, die langfristig wirkenden strukturellen Beziehungen zwischen dem Maghreb und Europa, zwischen den Staaten um das Mittelmeer herum. Während einer Reise Ende Februar 2016 in die Maghreb-Staaten hat Bundesinnenminister De Maizière die Möglichkeiten abgeklärt, Tunesien, Algerien und Marokko als „sichere Herkunftsstaaten“ zu definieren. Dadurch sollen vor allem Abschiebungen erleichtert werden; gleichzeitig geht es um die Beschleunigung von Asylverfahren. Auch im Falle fehlender Personalpapiere soll durch Abgleichung der Fingerabdrücke die Abschiebung durchgesetzt werden können. „Die Klärung soll über Fingerabdrücke erfolgen, Marokko verfüge dazu über eine ‚vorzügliche Datenbank‘, sagte de Maizière.“ (SZ, 1.3.2016, S.1) Spätestens bei dieser Bemerkung kann der aufmerksame Leser aufmerken. Was bedeutet es, wenn ein Staat, der für seine Geheimdienste und die polizeiliche Kontrolle der Bevölkerung bekannt ist, eine solche Datenbasis besitzt? Amnesty International schreibt in seinem Jahresbericht: „The authorities restricted rights to freedom of expression, association and assembly, arresting and prosecuting critics, harassing human rights groups and forcibly dispersing was required. (Amnesty International Report 2015/2016; 23.2.2016) Die mediale Begleitung der Reise des Innenministers verweist in diesem Zusammenhang auf Einwanderungsdaten des Innenministeriums, die in den Statistiken der Einwanderung nicht, oder nur minimal abgebildet sind. So kommt das Herkunftsland Marokko in der Asyl-Statistik des Jahres 2015 nur einmal vor: bei den Rücknahmeersuchen an andere europäische Ankunftsländer, mit 2,3% der Rücknahmeersuchen im Jahr 2014. Von diesen 824 Fällen wurden 147 vollzogen; im Jahr 2015 wurden 112 realisiert. Bei den an den Grenzen aufgegriffenen UMF wurden im Jahr 2014 66 Jugendliche aus Marokko registriert, im Jahr 2015 war Marokko bei den wichtigsten Herkunftsländern nicht vertreten. (Bundestagsdrucksache 18/7625 vom 22.2.2016).\\ 
 +In der Ausländerstatistik von 2014 werden 65 000 Personen aus Marokko als in Deutschland lebend aufgeführt; von der Aufenthaltsdauer her ist die größte Gruppe diejenige mit 30 und mehr Jahren Aufenthalt. Die Gesamtzahl der Menschen mit marokkanischer Herkunft wird auf 180.00 geschätzt. Andere Schätzungen nennen 140.000 Personen und weisen darauf hin, dass ca. 7.000 davon Studierende der 2. Generation sind. (de.quantara.de) Wieder andere Quellen sprechen von 130.000 Marokkanern in Deutschland (SWR international, 21.5.2013). Zwischen 2006 und 2012 sind jährlich ca. 3500 Personen zugezogen, während gleichzeitig jeweils 2.500 Personen fortgezogen sind. Dabei handelt es sich um die typische Fluktuation der eingewanderten „Gastarbeiterbevölkerung“. (10. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Oktober 2014).\\
 Die Beziehungen zwischen Marokko und Deutschland sind nicht so umfangreich, dass sie in der gegenwärtigen Flüchtlingsdiskussion im Vordergrund stehen sollten. Marokko ist stärker mit Frankreich, Spanien, Belgien und den Niederlanden verbunden. Aber die deutsch-marokkanischen Beziehungsstrukturen sind typisch für die langfristige Dynamik von Migrationsprozessen. Und selbst wenn Marokko wie die anderen Staaten Nordafrikas zum Bollwerk gegen die Migration aus Afrika und Asien ausgebaut wird, wenn deren Herrscher dafür reich beschenkt werden und unabhängiger von ihrer Bevölkerung herrschen können, so entscheidet sich an diesen Strukturen, ob es nur einen Kampf gegen Flüchtlinge oder auch einen Kampf gegen Fluchtursachen gibt. Die Beziehungen zwischen Marokko und Deutschland sind nicht so umfangreich, dass sie in der gegenwärtigen Flüchtlingsdiskussion im Vordergrund stehen sollten. Marokko ist stärker mit Frankreich, Spanien, Belgien und den Niederlanden verbunden. Aber die deutsch-marokkanischen Beziehungsstrukturen sind typisch für die langfristige Dynamik von Migrationsprozessen. Und selbst wenn Marokko wie die anderen Staaten Nordafrikas zum Bollwerk gegen die Migration aus Afrika und Asien ausgebaut wird, wenn deren Herrscher dafür reich beschenkt werden und unabhängiger von ihrer Bevölkerung herrschen können, so entscheidet sich an diesen Strukturen, ob es nur einen Kampf gegen Flüchtlinge oder auch einen Kampf gegen Fluchtursachen gibt.
-Noch einmal: Worum es geht + 
-Bei dem Versuch, ethnozentrisch die „Reinheit“ der eigenen Gesellschaft herzustellen, spielen zwei Mechanismen eine wichtige Rolle. Ein Mechanismus zielt darauf ab, das Eigene zu verniedlichen und das Andere zu vergrößern – wenn es sich um ein Übel handelt. Während die negativen Eigenschaften derer, die von außen kommen, überzeichnet werden, werden die eigenen Probleme marginalisiert. Die „marokkanischen jungen Männer an Sylvester in Köln“ sind zu einem feststehenden Stereotyp der Verwerflichkeit geworden, während der Bericht des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung vom 22.2.2016 nur in Randspalten der Presse oder überhaupt nicht erwähnt wurde. Über die Ereignisse in Köln wird es wohl niemals eine vollständige Aufklärung geben und dieses Ereignis von wenigen Stunden Dauer hat wohl mehr mit Polizeiversagen zu tun als mit dem tatsächlich eingetretenen Geschehen. Die Realität bleibt in einem diffusen Zwielicht. Dem Bericht des Missbrauchsbeauftragten liegt dagegen eine umfangreiche wissenschaftliche Expertise zu Grunde, die von einer Gruppe angesehener Wissenschaftler erstellt wurde. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass mehr als eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. (Andreas Jud, Miriam Rassenhofer, Andreas Witt, Annika Münzer & Jörg M. Fegert: EXPERTISE Häufigkeitsangaben zum sexuellen Missbrauch Internationale Einordnung, Bewertung der Kenntnislage in Deutschland, Beschreibung des Entwicklungsbedarfs, hrg. vom Unabhängigen Beauftragten für Sexuellen Kindermissbrauch) Dieser Umstand ist so beschämend für das Selbstverständnis der Menschen in Deutschland, dass er geradezu zu einer aggressiven Verdrängung verführt. Die Delikte der Anderen können dagegen zu einer bedrohlichen Angstphantasie gesteigert werden. Dabei spielt auch der einheimische Spätfeminismus sensu Schwarzer eine Rolle, der sich an die eigene Gesellschaft bis hin zur Selbstaufgabe angepasst hat und nun seinen Feind am fremden Mann findet. +**Noch einmal: Worum es geht**\\ 
-Ein zweiter Mechanismus ist die Exkommunikation dessen, was als Eigenes nicht zu leugnen ist. Nach den Pogromen in den sächsischen Gemeinden Clausnitz und Bautzen sagte der Ministerpräsident Stanislaw Tillich: „Das sind keine Menschen, die so etwas tun. Das sind Verbrecher.“ Unabhängig davon, wie die Taten im Einzelnen zu bewerten sind, so werden Personen, wie Götz Eisenberg feststellt (Nachdenkseiten 22.2.2016), ins Monströse verteufelt und aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Genau dies ist aber die Überschreitung einer Grenze, die die aufgeklärte Zivilität gezogen hat. Demagogischer könnte der mitverantwortliche Politiker nicht von seinen eigenen Versäumnissen ablenken. +Bei dem Versuch, ethnozentrisch die „Reinheit“ der eigenen Gesellschaft herzustellen, spielen zwei Mechanismen eine wichtige Rolle. Ein Mechanismus zielt darauf ab, das Eigene zu verniedlichen und das Andere zu vergrößern – wenn es sich um ein Übel handelt. Während die negativen Eigenschaften derer, die von außen kommen, überzeichnet werden, werden die eigenen Probleme marginalisiert. Die „marokkanischen jungen Männer an Sylvester in Köln“ sind zu einem feststehenden Stereotyp der Verwerflichkeit geworden, während der Bericht des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung vom 22.2.2016 nur in Randspalten der Presse oder überhaupt nicht erwähnt wurde. Über die Ereignisse in Köln wird es wohl niemals eine vollständige Aufklärung geben und dieses Ereignis von wenigen Stunden Dauer hat wohl mehr mit Polizeiversagen zu tun als mit dem tatsächlich eingetretenen Geschehen. Die Realität bleibt in einem diffusen Zwielicht. Dem Bericht des Missbrauchsbeauftragten liegt dagegen eine umfangreiche wissenschaftliche Expertise zu Grunde, die von einer Gruppe angesehener Wissenschaftler erstellt wurde. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass mehr als eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. (Andreas Jud, Miriam Rassenhofer, Andreas Witt, Annika Münzer & Jörg M. Fegert: EXPERTISE Häufigkeitsangaben zum sexuellen Missbrauch Internationale Einordnung, Bewertung der Kenntnislage in Deutschland, Beschreibung des Entwicklungsbedarfs, hrg. vom Unabhängigen Beauftragten für Sexuellen Kindermissbrauch) Dieser Umstand ist so beschämend für das Selbstverständnis der Menschen in Deutschland, dass er geradezu zu einer aggressiven Verdrängung verführt. Die Delikte der Anderen können dagegen zu einer bedrohlichen Angstphantasie gesteigert werden. Dabei spielt auch der einheimische Spätfeminismus sensu Schwarzer eine Rolle, der sich an die eigene Gesellschaft bis hin zur Selbstaufgabe angepasst hat und nun seinen Feind am fremden Mann findet.\\ 
-Wichtig aber ist, dass der rechtsextreme Terrorismus ebenso wie der millionenfache sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aus der eigenen Gesellschaft hinauskatapultiert wird. So werden auch die 13.800 Straf- und Gewalttaten von Rechtsextremen im Jahr 2015 (www.tagesschau.de/inland/rechtsextremismus-gewalt-101.html) bestenfalls einmal am Rande erwähnt. Und die 1000 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in einem Jahr werden ernsthaft nur in einem kleineren Teil der Politik ernstgenommen. Manche politische Gruppen lassen sich auch gerne von diesem Terror vor sich hertreiben. Absolut beunruhigend aber ist der Umstand, dass bis zum 15. September 2015 mehr als 450 Haftbefehle gegen 372 rechtsmotivierte Straftäter nicht vollstreckt waren. Das bedeutet: Entweder werden diese Personen nicht verhaftet, obwohl die Polizei weiß, wo sie sich befinden. Oder die Verbrecher entziehen sich einer Verhaftung, weil sie untergetaucht sind (SZ, 11.1.2016). Und wenn der bayrische Ministerpräsident den Umstand, dass Flüchtlinge ungehindert über die Grenzen nach Deutschland kommen können (obwohl sie dort registriert werden), als „Herrschaft des Unrechts“ bezeichnet und dafür allerhöchstens „Irritation“ erntet, dann wird auf besonders perverse Weise die nationalistische Prämisse dieses Denkens deutlich. Denn dieser Ausdruck wurde bisher für Verhältnisse wie in der DDR oder in Nazi-Deutschland verwendet.+Ein zweiter Mechanismus ist die Exkommunikation dessen, was als Eigenes nicht zu leugnen ist. Nach den Pogromen in den sächsischen Gemeinden Clausnitz und Bautzen sagte der Ministerpräsident Stanislaw Tillich: „Das sind keine Menschen, die so etwas tun. Das sind Verbrecher.“ Unabhängig davon, wie die Taten im Einzelnen zu bewerten sind, so werden Personen, wie Götz Eisenberg feststellt (Nachdenkseiten 22.2.2016), ins Monströse verteufelt und aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen. Genau dies ist aber die Überschreitung einer Grenze, die die aufgeklärte Zivilität gezogen hat. Demagogischer könnte der mitverantwortliche Politiker nicht von seinen eigenen Versäumnissen ablenken.\\ 
 +Wichtig aber ist, dass der rechtsextreme Terrorismus ebenso wie der millionenfache sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aus der eigenen Gesellschaft hinauskatapultiert wird. So werden auch die 13.800 Straf- und Gewalttaten von Rechtsextremen im Jahr 2015 (www.tagesschau.de/inland/rechtsextremismus-gewalt-101.html) bestenfalls einmal am Rande erwähnt. Und die 1000 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in einem Jahr werden ernsthaft nur in einem kleineren Teil der Politik ernstgenommen. Manche politische Gruppen lassen sich auch gerne von diesem Terror vor sich hertreiben. Absolut beunruhigend aber ist der Umstand, dass bis zum 15. September 2015 mehr als 450 Haftbefehle gegen 372 rechtsmotivierte Straftäter nicht vollstreckt waren. Das bedeutet: Entweder werden diese Personen nicht verhaftet, obwohl die Polizei weiß, wo sie sich befinden. Oder die Verbrecher entziehen sich einer Verhaftung, weil sie untergetaucht sind (SZ, 11.1.2016). Und wenn der bayrische Ministerpräsident den Umstand, dass Flüchtlinge ungehindert über die Grenzen nach Deutschland kommen können (obwohl sie dort registriert werden), als „Herrschaft des Unrechts“ bezeichnet und dafür allerhöchstens „Irritation“ erntet, dann wird auf besonders perverse Weise die nationalistische Prämisse dieses Denkens deutlich. Denn dieser Ausdruck wurde bisher für Verhältnisse wie in der DDR oder in Nazi-Deutschland verwendet.\\
 Diese Themen und Tatsachen werden durchaus nicht verschwiegen, aber sie spielen für die mediale Meinungsbildung keine Rolle. Der mainstream der Öffentlichkeit „schützt“ die Gesellschaft vor Zweifeln daran, ob sie ihre Verfassung ernst nimmt und überhaupt das Recht hat, von den Zuwanderern „Integration“ zu erwarten. Möglicherweise empfinden die jungen Männer aus Marokko eine größere Legitimation, in Europa, das ihr Land modernisiert, seine Arbeitskräfte verbraucht, seine Denkmäler sich angeeignet und seinen Reichtum nach Norden gebracht hat, sich das wieder anzueignen, was ihnen genommen wurde – zumindest in ihrer subjektiven Perspektive. Diese Themen und Tatsachen werden durchaus nicht verschwiegen, aber sie spielen für die mediale Meinungsbildung keine Rolle. Der mainstream der Öffentlichkeit „schützt“ die Gesellschaft vor Zweifeln daran, ob sie ihre Verfassung ernst nimmt und überhaupt das Recht hat, von den Zuwanderern „Integration“ zu erwarten. Möglicherweise empfinden die jungen Männer aus Marokko eine größere Legitimation, in Europa, das ihr Land modernisiert, seine Arbeitskräfte verbraucht, seine Denkmäler sich angeeignet und seinen Reichtum nach Norden gebracht hat, sich das wieder anzueignen, was ihnen genommen wurde – zumindest in ihrer subjektiven Perspektive.
  
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 **Referat anlässlich der Eröffnungsveranstaltung „Soziale Arbeit und Lehramt – Konvergierende Professionen in der Schule?“ zum Magisterstudiengang Schulsozialarbeit der Katholischen Universität Eichstätt, 7.11.2016** **Referat anlässlich der Eröffnungsveranstaltung „Soziale Arbeit und Lehramt – Konvergierende Professionen in der Schule?“ zum Magisterstudiengang Schulsozialarbeit der Katholischen Universität Eichstätt, 7.11.2016**
  
-**Vorbemerkung** +**Vorbemerkung**\\
 Was ist der Zweck der Schule? Die Kultivierung eines analytischen Verstands und die Pflege einer sich selbst reflektierenden Vernunft! Eine schöne Bestimmung, die im Alltag des Unterrichtens nicht immer sichtbar ist. Sie wird in der Funktion der Schule verdunkelt, durch belastende Emotionen blockiert, durch Macht und Aggressionen in den Beziehungen verhindert. Mit diesen Phänomenen hat die Schulsozialarbeit in vielerlei Form vor allem zu tun. Das ist nicht ihr Zweck, sondern ihre Tätigkeit ist ein Mittel um den Schulzweck zu realisieren. Aber sie bestimmt selbst, wie sie den Schulzweck definiert. In dieser Orientierung unterscheidet sie sich nicht vom Unterricht. Was ist der Zweck der Schule? Die Kultivierung eines analytischen Verstands und die Pflege einer sich selbst reflektierenden Vernunft! Eine schöne Bestimmung, die im Alltag des Unterrichtens nicht immer sichtbar ist. Sie wird in der Funktion der Schule verdunkelt, durch belastende Emotionen blockiert, durch Macht und Aggressionen in den Beziehungen verhindert. Mit diesen Phänomenen hat die Schulsozialarbeit in vielerlei Form vor allem zu tun. Das ist nicht ihr Zweck, sondern ihre Tätigkeit ist ein Mittel um den Schulzweck zu realisieren. Aber sie bestimmt selbst, wie sie den Schulzweck definiert. In dieser Orientierung unterscheidet sie sich nicht vom Unterricht.
  
 Die Formulierung des Themas hat mir genügend Spielraum gelassen, um Schwerpunkte zu setzen. Das ist auch notwendig, denn Schulsozialarbeit ist ein intensiv beackertes Gebiet und Integration ist ein weites Feld. Bezogen auf die verschiedenen Schulformen hat sich Schulsozialarbeit ausdifferenziert und zwischen Grundschule und Berufsbildenden Schulen unterschiedliche Formen entwickelt und heterogene Schwerpunkte gesetzt. An den Hochschulen und Universitäten hat die Schulsozialarbeit dann den Titel „psychotherapeutische Beratungsstelle“ oder „Fachschaft“ angenommen.  Die Formulierung des Themas hat mir genügend Spielraum gelassen, um Schwerpunkte zu setzen. Das ist auch notwendig, denn Schulsozialarbeit ist ein intensiv beackertes Gebiet und Integration ist ein weites Feld. Bezogen auf die verschiedenen Schulformen hat sich Schulsozialarbeit ausdifferenziert und zwischen Grundschule und Berufsbildenden Schulen unterschiedliche Formen entwickelt und heterogene Schwerpunkte gesetzt. An den Hochschulen und Universitäten hat die Schulsozialarbeit dann den Titel „psychotherapeutische Beratungsstelle“ oder „Fachschaft“ angenommen. 
-Ich möchte mich in meinem Beitrag auf die Berufsbildenden Schulen konzentrieren, denn sie sind in der Fachdebatte, soweit ich das übersehe, vernachlässigt. Wie so oft werden die Allgemeinbildenden Schulen in den Fokus genommen, die Berufliche Bildung steht immer noch im Schatten des Glanzes der bildungsbürgerlichen Allgemeinbildung. Doch nicht dieses sozialpädagogisch zu nennende Motiv treibt mich an, also die Zuwendung zu den Benachteiligten, sondern meine Behauptung, dass die Berufsbildenden Schulen eine komplexe Einheit bilden, die unter dem Gesichtspunkt der Integration die größte gesellschaftliche Relevanz hat.  +Ich möchte mich in meinem Beitrag auf die Berufsbildenden Schulen konzentrieren, denn sie sind in der Fachdebatte, soweit ich das übersehe, vernachlässigt. Wie so oft werden die Allgemeinbildenden Schulen in den Fokus genommen, die Berufliche Bildung steht immer noch im Schatten des Glanzes der bildungsbürgerlichen Allgemeinbildung. Doch nicht dieses sozialpädagogisch zu nennende Motiv treibt mich an, also die Zuwendung zu den Benachteiligten, sondern meine Behauptung, dass die Berufsbildenden Schulen eine komplexe Einheit bilden, die unter dem Gesichtspunkt der Integration die größte gesellschaftliche Relevanz hat. \\ 
-Die Grundschule ist epochal reformiert und wird von allerlein Unsinn, wie zum Beispiel dem Schreiben nach Gehör, heimgesucht. Die Sekundarstufe 1 ist tausendfach modifiziert, wird nach jeder Landtagswahl mit neuen Schultypen angereichert und existiert in unüberschaubarer Vielfalt. Das Gymnasium ist GottseiDank nicht mehr das, was es einmal war, aber seine Selektionsfunktion ist ungebrochen. Insbesondere in der Sekundarstufe 1 ist Schulsozialarbeit in diese Selektionsfunktion eingebunden, durchaus mit Chancen sie abzumildern.  +Die Grundschule ist epochal reformiert und wird von allerlein Unsinn, wie zum Beispiel dem Schreiben nach Gehör, heimgesucht. Die Sekundarstufe 1 ist tausendfach modifiziert, wird nach jeder Landtagswahl mit neuen Schultypen angereichert und existiert in unüberschaubarer Vielfalt. Das Gymnasium ist GottseiDank nicht mehr das, was es einmal war, aber seine Selektionsfunktion ist ungebrochen. Insbesondere in der Sekundarstufe 1 ist Schulsozialarbeit in diese Selektionsfunktion eingebunden, durchaus mit Chancen sie abzumildern. \\ 
-Aber die Berufsbildenden Schulen haben heute einen weiten Geltungsbereich vom Berufsvorbereitungsjahr bis hin zum Beruflichen Gymnasium. Sie vermitteln alle Abschlüsse und alle Abstiegs- sowie Aufstiegsmöglichkeiten. Sie wirken integrativ, weil sie auch schulisch gescheiterten Jugendlichen einen Wiedereinstieg in Bildungsprozesse ermöglichen und weil sie Jugendliche ohne jegliche formale Qualifikation aufzunehmen in der Lage sind. In dem Bundesland, aus dem ich komme, sind die Wege durch die Berufsbildende Schule vielfältiger als im gesamten Allgemeinbildenden Schulwesen. Die klassisch zu nennende Berufsschule im dualen Ausbildungssystem spielt noch eine Hauptrolle, aber Berufsvorbereitungsjahr, Berufsfachschule I und II, Berufsoberschule und Duale Berufsoberschule, die Berufsoberschule II, die Höhere Berufsfachschule und das Berufliche Gymnasium offerieren qualifizierte Abschlüsse, freilich auch Abstiege.  +Aber die Berufsbildenden Schulen haben heute einen weiten Geltungsbereich vom Berufsvorbereitungsjahr bis hin zum Beruflichen Gymnasium. Sie vermitteln alle Abschlüsse und alle Abstiegs- sowie Aufstiegsmöglichkeiten. Sie wirken integrativ, weil sie auch schulisch gescheiterten Jugendlichen einen Wiedereinstieg in Bildungsprozesse ermöglichen und weil sie Jugendliche ohne jegliche formale Qualifikation aufzunehmen in der Lage sind. In dem Bundesland, aus dem ich komme, sind die Wege durch die Berufsbildende Schule vielfältiger als im gesamten Allgemeinbildenden Schulwesen. Die klassisch zu nennende Berufsschule im dualen Ausbildungssystem spielt noch eine Hauptrolle, aber Berufsvorbereitungsjahr, Berufsfachschule I und II, Berufsoberschule und Duale Berufsoberschule, die Berufsoberschule II, die Höhere Berufsfachschule und das Berufliche Gymnasium offerieren qualifizierte Abschlüsse, freilich auch Abstiege. \\ 
-Gerade im ländlichen Raum sind die Berufsbildenden Schulen ein Zentrum der regionalen Bildungsermöglichung. Die Berufsbildende Schule Simmern im Hunsrück, die ich kürzlich besuchte (nebenbei ein Hinweis für die Freunde der empirischen Forschung: n also gleich 1), diese Schule bietet fachschulische Bildungsgänge für Altenpflege, Altenpflegehilfe, und Sozialwesen an, sie vermittelt berufliche Grundbildung ebenso wie den qualifizierten Sekundarabschluss 2, die Fachhochschulreife ganztägig oder berufsbegleitend in verschiedenen Fachrichtungen oder die allgemeine Hochschulreife. Im Berufsvorbereitungsjahr Sprache werden die jungen Flüchtlinge der ganzen Region mit und ohne Schulerfahrung zusammengefasst und in das moderne Bildungssystem einsozialisiert – mit allen Vorzügen und Malaisen dieses Systems.  +Gerade im ländlichen Raum sind die Berufsbildenden Schulen ein Zentrum der regionalen Bildungsermöglichung. Die Berufsbildende Schule Simmern im Hunsrück, die ich kürzlich besuchte (nebenbei ein Hinweis für die Freunde der empirischen Forschung: n also gleich 1), diese Schule bietet fachschulische Bildungsgänge für Altenpflege, Altenpflegehilfe, und Sozialwesen an, sie vermittelt berufliche Grundbildung ebenso wie den qualifizierten Sekundarabschluss 2, die Fachhochschulreife ganztägig oder berufsbegleitend in verschiedenen Fachrichtungen oder die allgemeine Hochschulreife. Im Berufsvorbereitungsjahr Sprache werden die jungen Flüchtlinge der ganzen Region mit und ohne Schulerfahrung zusammengefasst und in das moderne Bildungssystem einsozialisiert – mit allen Vorzügen und Malaisen dieses Systems. \\ 
-Durch wen wird dieses komplexe Gebilde zusammengehalten? Wer hat mit all den hundert Lehrern und Tausend Schülern zu tun? Natürlich die Hausmeister und das Schulsekretariat. Aber insbesondere durch die beiden Personen, die darüber hinaus ein eigenes Arbeits- und Besprechungszimmer haben: Der Schulleiter und die Schulsozialarbeiterin. Die Macht und die Kompetenzen sind selbstverständlich höchst ungleich verteilt. Da ist die Schule ein genaues Abbild der Gesellschaft. Für beide Funktionsstellen ist die Integration eine vorrangige Aufgabe. Der Schulleiter sichert den Erfolg, das formale Funktionieren und das Ergebnis, das die Schule an die Gesellschaft abliefert. Der Imperativ seiner Tätigkeit ist systemisch definiert. Die Schulsozialarbeiterin dagegen hat sich ihr Ansehen bei Lehrern und Schülern erarbeitet, ihre Tätigkeit wird von einer persönlichen Ausformung kommunikativer und psychosozialer Kompetenzen bestimmt. An den Rändern der Systemintegration des reibungslosen Ablaufes, für das der Schulleiter verantwortlich ist, sichert sie durch persönliche Anstrengung das Herausfallen von Schülern und Schülerinnen in deren Interesse an einem erfolgreichen Schulbesuch. Dass sie auch noch vielfach den Frust vieler Lehrkräfte auffängt, ist in einer Schule dieser Größenordnung schon gar nicht mehr zu erwarten, aber sie tut es.+Durch wen wird dieses komplexe Gebilde zusammengehalten? Wer hat mit all den hundert Lehrern und Tausend Schülern zu tun? Natürlich die Hausmeister und das Schulsekretariat. Aber insbesondere durch die beiden Personen, die darüber hinaus ein eigenes Arbeits- und Besprechungszimmer haben: Der Schulleiter und die Schulsozialarbeiterin. Die Macht und die Kompetenzen sind selbstverständlich höchst ungleich verteilt. Da ist die Schule ein genaues Abbild der Gesellschaft. Für beide Funktionsstellen ist die Integration eine vorrangige Aufgabe. Der Schulleiter sichert den Erfolg, das formale Funktionieren und das Ergebnis, das die Schule an die Gesellschaft abliefert. Der Imperativ seiner Tätigkeit ist systemisch definiert. Die Schulsozialarbeiterin dagegen hat sich ihr Ansehen bei Lehrern und Schülern erarbeitet, ihre Tätigkeit wird von einer persönlichen Ausformung kommunikativer und psychosozialer Kompetenzen bestimmt. An den Rändern der Systemintegration des reibungslosen Ablaufes, für das der Schulleiter verantwortlich ist, sichert sie durch persönliche Anstrengung das Herausfallen von Schülern und Schülerinnen in deren Interesse an einem erfolgreichen Schulbesuch. Dass sie auch noch vielfach den Frust vieler Lehrkräfte auffängt, ist in einer Schule dieser Größenordnung schon gar nicht mehr zu erwarten, aber sie tut es.\\
 Die beiden Arbeits- und Besprechungszimmer symbolisieren Orte der Integration. Wenn dabei von Integration gesprochen wird, dann nicht in dem migrationspolitisch eingeschränkten Sinn, sondern in einem soziologisch korrekten, nämlich universalistischen Sinn. Integration gehört wie Differenzierung, Segregation, Schichtung, Inklusion und Exklusion zu den soziologischen Grundbegriffen. Die Differenzierung des Begriffs beginnt mit der Unterscheidung von Sozial- und Systemintegration und wird häufig mit Formen der Solidarität in Verbindung gebracht. Üblich ist aber inzwischen die Einengung des Begriffs auf die Integration von Zuwanderern. Aber dies ist eine problematische Verkürzung. Denn die Struktur- und Integrationsprobleme der Gesellschaft, die auch ohne Migranten bestehen, geraten dabei aus dem Blick. Die beiden Arbeits- und Besprechungszimmer symbolisieren Orte der Integration. Wenn dabei von Integration gesprochen wird, dann nicht in dem migrationspolitisch eingeschränkten Sinn, sondern in einem soziologisch korrekten, nämlich universalistischen Sinn. Integration gehört wie Differenzierung, Segregation, Schichtung, Inklusion und Exklusion zu den soziologischen Grundbegriffen. Die Differenzierung des Begriffs beginnt mit der Unterscheidung von Sozial- und Systemintegration und wird häufig mit Formen der Solidarität in Verbindung gebracht. Üblich ist aber inzwischen die Einengung des Begriffs auf die Integration von Zuwanderern. Aber dies ist eine problematische Verkürzung. Denn die Struktur- und Integrationsprobleme der Gesellschaft, die auch ohne Migranten bestehen, geraten dabei aus dem Blick.
-Ich möchte dafür ein Beispiel geben. In Hunderten von Dokumenten wird die unzureichende Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit den unterschiedlichen Bildungsabschlüssen aufgezeigt, manchmal auch bedauert oder kritisiert. So lange die Schulstatistik in der Vergangenheit auf eindeutige Kriterien zurückgegriffen hat, wurde der Bildungserfolg von Inländern und Ausländern verglichen. Über die Jahre haben 15% der ausländischen Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen, bei den inländischen Schülern lag die Quote bei 5 bis 6 %. Auf diese Differenz bezogen sich die Debatten mit unterschiedlichen Erklärungen, die aber mit Sicherheit vor allem eine Wirkung hatten: das Problem des fehlenden Abschlusses bei den Ausländern zu platzieren. Sieht man sich die absoluten Zahlen an, ergibt sich folgendes Bild: Bei den Ausländern sind es 15.000 Jugendliche ohne Abschluss, bei den Deutschen sind es 52.000. Der Umfang des Problems, nämlich einer ergebnislosen Schulkarriere, ist umgekehrt proportional. Zwar wird im Übergangssystem der Berufsbildenden Schule manche Karriere, vor allem mit Hilfe der Schulsozialarbeit, in eine erfolgreiche Perspektive umgebogen. Aber die deutsche Gesellschaft hat erfolgreich ihre Problemdefinition auf die Ausländer gelenkt. Die Integrationsdiskussion verlagert sich auf die Zu- und Einwanderer. Die wissen gar nicht, wofür alles sie gut sind.  +Ich möchte dafür ein Beispiel geben. In Hunderten von Dokumenten wird die unzureichende Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund mit den unterschiedlichen Bildungsabschlüssen aufgezeigt, manchmal auch bedauert oder kritisiert. So lange die Schulstatistik in der Vergangenheit auf eindeutige Kriterien zurückgegriffen hat, wurde der Bildungserfolg von Inländern und Ausländern verglichen. Über die Jahre haben 15% der ausländischen Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen, bei den inländischen Schülern lag die Quote bei 5 bis 6 %. Auf diese Differenz bezogen sich die Debatten mit unterschiedlichen Erklärungen, die aber mit Sicherheit vor allem eine Wirkung hatten: das Problem des fehlenden Abschlusses bei den Ausländern zu platzieren. Sieht man sich die absoluten Zahlen an, ergibt sich folgendes Bild: Bei den Ausländern sind es 15.000 Jugendliche ohne Abschluss, bei den Deutschen sind es 52.000. Der Umfang des Problems, nämlich einer ergebnislosen Schulkarriere, ist umgekehrt proportional. Zwar wird im Übergangssystem der Berufsbildenden Schule manche Karriere, vor allem mit Hilfe der Schulsozialarbeit, in eine erfolgreiche Perspektive umgebogen. Aber die deutsche Gesellschaft hat erfolgreich ihre Problemdefinition auf die Ausländer gelenkt. Die Integrationsdiskussion verlagert sich auf die Zu- und Einwanderer. Die wissen gar nicht, wofür alles sie gut sind. \\ 
-Die projektive Verdrängung von Strukturproblemen wird noch deutlicher, wenn man die Tatsache der Armut in dieser Gesellschaft hinzunimmt. Dann zeigt sich nämlich, wie das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt in einer Panelstudie herausgearbeitet hat, dass in der migrantischen Bevölkerung die Bildungswege aus der Armut heraus zahlreicher und erfolgreicher sind als in der einheimischen Bevölkerung. In diesem Bevölkerungsteil sind nämlich erschöpfte Familien, sozialer Abstieg, berufliche Auszehrung und resignativer Anstrengungsverlust häufiger als in den Familien, die durch Migration ihr Schicksal verbessern wollen. In den nach der Migration folgenden Generationen wird deshalb der Bildungserfolg zahlreicher, aber auch die soziokulturelle Marginalisierung, die durch soziale, mediale und politische Diskriminierung hervorgebracht wird. +Die projektive Verdrängung von Strukturproblemen wird noch deutlicher, wenn man die Tatsache der Armut in dieser Gesellschaft hinzunimmt. Dann zeigt sich nämlich, wie das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt in einer Panelstudie herausgearbeitet hat, dass in der migrantischen Bevölkerung die Bildungswege aus der Armut heraus zahlreicher und erfolgreicher sind als in der einheimischen Bevölkerung. In diesem Bevölkerungsteil sind nämlich erschöpfte Familien, sozialer Abstieg, berufliche Auszehrung und resignativer Anstrengungsverlust häufiger als in den Familien, die durch Migration ihr Schicksal verbessern wollen. In den nach der Migration folgenden Generationen wird deshalb der Bildungserfolg zahlreicher, aber auch die soziokulturelle Marginalisierung, die durch soziale, mediale und politische Diskriminierung hervorgebracht wird.\\ 
-Diese Beobachtungen führen zurück zum systematischen Sinn des Integrationsbegriffs und zur Bedeutung der Schulsozialarbeit. Die Schule ist eine parapädagogische Institution der Leistungsauslese und der Einübung in die Regeln der Gesellschaft. Gesellschaftliche Anforderungen an jedes Individuum mildert sie als Schonraum ab, daraus resultieren pädagogische Imperative. Als Teil des Systems der Moderne rationalisiert sie aber Beziehungen unter dem Gesichtspunkt der strategischen Effektivität. Sie setzt dabei die normativen, auf liebevoller Zuwendung und solidarischen Handlungen beruhenden sozialen Motive voraus und verbraucht sie gleichzeitig mehr, als sie sie hervorbringen kann. Diese auflösende und verbrauchende Verbindung von System- und Sozialintegration braucht gerade in neoliberal umgebauten Gesellschaften und ihren Institutionen die Zufuhr von kommunikativem Handeln, von persönlicher Zuwendung und subjektorientierter Reflexion. Genau dies kann die Schulsozialarbeit. In ihr kommt Sozialpädagogik auf ihren Begriff.  +Diese Beobachtungen führen zurück zum systematischen Sinn des Integrationsbegriffs und zur Bedeutung der Schulsozialarbeit. Die Schule ist eine parapädagogische Institution der Leistungsauslese und der Einübung in die Regeln der Gesellschaft. Gesellschaftliche Anforderungen an jedes Individuum mildert sie als Schonraum ab, daraus resultieren pädagogische Imperative. Als Teil des Systems der Moderne rationalisiert sie aber Beziehungen unter dem Gesichtspunkt der strategischen Effektivität. Sie setzt dabei die normativen, auf liebevoller Zuwendung und solidarischen Handlungen beruhenden sozialen Motive voraus und verbraucht sie gleichzeitig mehr, als sie sie hervorbringen kann. Diese auflösende und verbrauchende Verbindung von System- und Sozialintegration braucht gerade in neoliberal umgebauten Gesellschaften und ihren Institutionen die Zufuhr von kommunikativem Handeln, von persönlicher Zuwendung und subjektorientierter Reflexion. Genau dies kann die Schulsozialarbeit. In ihr kommt Sozialpädagogik auf ihren Begriff. \\ 
-Integration ist die Leistung der Schulsozialarbeit, weil sie der Schule einen Reflexionsgewinn verschafft und kommunikative Kapazitäten aufbaut. Deshalb gibt es immer mehr Schulsozialarbeit. Dabei geht es nicht nur, vielleicht sogar am wenigsten, um die Einstellung von Sozialpädagogen und Sozialarbeiterinnen. Es geht darum, Spielraum für Nachdenken und Aufarbeiten von unbearbeiteten Konflikten zu schaffen und die Individuen, wenn man es theatralisch formuliert, mit den Anforderungen der Schule zu versöhnen. Diese Aufgabe stellt sich in allen Schularten, besonders aber in der Berufsbildenden Schule, die die Widersprüche der Gesellschaft am stärksten in einer Schulform zusammenführt. Denn die technischen Anforderungen vieler Lerngegenstände lassen sich am besten in strategische Handlungsanforderungen transformieren, präferieren einen Lehrmodus der bedingungslosen sachlichen Alternativlosigkeit. Diese Art von Pädagogik hat fast den Stand der digitalen Möglichkeiten von Null und Eins erreicht, realisiert also die Signatur des Zeitalters und bereitet hervorragend auf die europäische Demokratiekultur vor. Die Kultur der Berufsbildenden Schulen ist besonders spannungsvoll, weil die Ordnungen der Betriebe ebenso in sie hineinwirken wie die Ordnungen der gelehrten Fächer und dann, zuletzt, die Ordnung der didaktischen Formierung. Das pädagogische Handeln mit seiner Parteilichkeit für den Schüler steht quer zu diesen durchstrukturierten Ordnungen und hat es deshalb besonders schwer. Eine einzigartige Chance für Schulsozialarbeit – aber wie stark müsste sie sein?! +Integration ist die Leistung der Schulsozialarbeit, weil sie der Schule einen Reflexionsgewinn verschafft und kommunikative Kapazitäten aufbaut. Deshalb gibt es immer mehr Schulsozialarbeit. Dabei geht es nicht nur, vielleicht sogar am wenigsten, um die Einstellung von Sozialpädagogen und Sozialarbeiterinnen. Es geht darum, Spielraum für Nachdenken und Aufarbeiten von unbearbeiteten Konflikten zu schaffen und die Individuen, wenn man es theatralisch formuliert, mit den Anforderungen der Schule zu versöhnen. Diese Aufgabe stellt sich in allen Schularten, besonders aber in der Berufsbildenden Schule, die die Widersprüche der Gesellschaft am stärksten in einer Schulform zusammenführt. Denn die technischen Anforderungen vieler Lerngegenstände lassen sich am besten in strategische Handlungsanforderungen transformieren, präferieren einen Lehrmodus der bedingungslosen sachlichen Alternativlosigkeit. Diese Art von Pädagogik hat fast den Stand der digitalen Möglichkeiten von Null und Eins erreicht, realisiert also die Signatur des Zeitalters und bereitet hervorragend auf die europäische Demokratiekultur vor. Die Kultur der Berufsbildenden Schulen ist besonders spannungsvoll, weil die Ordnungen der Betriebe ebenso in sie hineinwirken wie die Ordnungen der gelehrten Fächer und dann, zuletzt, die Ordnung der didaktischen Formierung. Das pädagogische Handeln mit seiner Parteilichkeit für den Schüler steht quer zu diesen durchstrukturierten Ordnungen und hat es deshalb besonders schwer. Eine einzigartige Chance für Schulsozialarbeit – aber wie stark müsste sie sein?!\\ 
-Wie dem auch sei – die Schulsozialarbeit hat nicht nur in den Berufsbildenden Schulen einen Schwerpunkt gefunden in der Unterstützung der Lehrkräfte und der Schüler und Schülerinnen im Berufsvorbereitungsjahr Sprache, in das heute sehr viele Jugendliche mit Fluchterfahrung eingeschult werden. Zweifellos ist der Erwerb der deutschen Sprache eine elementare Notwendigkeit für diese Jugendlichen. Das wissen sie selbst am besten. Wenn man ihnen dies immer wieder erklärt, sind sie zunächst erstaunt darüber, dass man ihren subjektiven Willen nicht zur Kenntnis nimmt. Gehen die Ermahnungen, sie müssten doch um ihrer selbst willen vor allem Deutsch lernen, weiter, dann reagieren sie bisweilen mit der bloßen Verweigerung, hervorgerufen nicht auf der Ebene der sachlichen Anforderungen, sondern des Widerstands auf der Beziehungsebene. Weil sie die ständigen Ermahnungen als respektlos empfinden.  +Wie dem auch sei – die Schulsozialarbeit hat nicht nur in den Berufsbildenden Schulen einen Schwerpunkt gefunden in der Unterstützung der Lehrkräfte und der Schüler und Schülerinnen im Berufsvorbereitungsjahr Sprache, in das heute sehr viele Jugendliche mit Fluchterfahrung eingeschult werden. Zweifellos ist der Erwerb der deutschen Sprache eine elementare Notwendigkeit für diese Jugendlichen. Das wissen sie selbst am besten. Wenn man ihnen dies immer wieder erklärt, sind sie zunächst erstaunt darüber, dass man ihren subjektiven Willen nicht zur Kenntnis nimmt. Gehen die Ermahnungen, sie müssten doch um ihrer selbst willen vor allem Deutsch lernen, weiter, dann reagieren sie bisweilen mit der bloßen Verweigerung, hervorgerufen nicht auf der Ebene der sachlichen Anforderungen, sondern des Widerstands auf der Beziehungsebene. Weil sie die ständigen Ermahnungen als respektlos empfinden. \\ 
-Die Forderung, die Sprache erwerben zu müssen, ist ohnehin nicht eine pädagogische. Pädagogisch reflektiert steht das freundliche Wort am Anfang. Es muss nicht die Willkommenskultur der Teddybären sein, im Gegenteil. Es muss das freundliche Wort sein, das sich durchhält, gerade in den Schwierigkeiten der Ebenen und das die Klarheit eines Interesses an der Entwicklung des Jugendlichen um seiner selbst willen zum Ausdruck bringt. Empirisch kann man dies im Alltag jeder Schule beobachten, in manchen Schulen ist es stärker realisiert als in anderen. Je mehr es fehlt, braucht man die Schulsozialarbeit – freilich auch nur eine, die das, was sie von anderen erwartet, auch selbst realisieren kann, nämlich kommunikative Zuwendung und Bereitstellung von Reflexionsräumen. +Die Forderung, die Sprache erwerben zu müssen, ist ohnehin nicht eine pädagogische. Pädagogisch reflektiert steht das freundliche Wort am Anfang. Es muss nicht die Willkommenskultur der Teddybären sein, im Gegenteil. Es muss das freundliche Wort sein, das sich durchhält, gerade in den Schwierigkeiten der Ebenen und das die Klarheit eines Interesses an der Entwicklung des Jugendlichen um seiner selbst willen zum Ausdruck bringt. Empirisch kann man dies im Alltag jeder Schule beobachten, in manchen Schulen ist es stärker realisiert als in anderen. Je mehr es fehlt, braucht man die Schulsozialarbeit – freilich auch nur eine, die das, was sie von anderen erwartet, auch selbst realisieren kann, nämlich kommunikative Zuwendung und Bereitstellung von Reflexionsräumen. \\
 Aber mit den Berufsvorbereitungsklassen Sprache sind wir thematisch bei der üblicherweise gemeinten Bedeutung von Integration. Sie bezieht sich auf die Integration von zugewanderten Personen. Dass es sich um Personen handelt ist die erste wichtige Erinnerung in diesem Zusammenhang, denn normalerweise ist nur von Gruppen, Kollektiven und Massen im Plural die Rede. Allein diese Modifikation schafft Raum für pädagogisches Nachdenken. An die Stelle des Kollektivbildes tritt der individualisierende Blick auf das Kind und den Jugendlichen. Mit diesem Beginn einer pädagogischen Reflexion möchte ich Platz schaffen für einen produktiven Umgang mit Migrationsfolgen. Denn gerade in der hysterisch aufgeheizten Stimmung nach dem Sylvester 2015 sind vor allem Kollektivbilder verstärkt worden, die die konventionellen Stereotypen ins Gigantische gesteigert haben. Das Bild von der Überflutung, von brechenden Dämmen gegen die Invasion oder die Verbindung von Gewalt, Terror und jungen Flüchtlingen ist so stark geworden, dass alles, was politisch über lange Zeit undenkbar war, mühelos durchgesetzt werden kann. Im Notfall, wenn er nur erklärt ist, ist der kurze Prozess legitimiert. Das Verlangen des österreichischen Außenministers nach dem Schießbefehl gegen Flüchtlinge ist nur die ultima ratio einer Grenzsicherung, die streng nach nützlichen und unnützen Zuwanderern unterscheidet. Die Etablierung von Gefängnissen für Flüchtlinge in Griechenland, die Abwehr von Flüchtlingen durch brutale Internierung in Libyen mit europäischer Hilfe oder die ungeprüfte Ausweisung von Flüchtlingen in den türkischen Staat des Imperators – alle diese Maßnahmen dienen dem Kampf gegen Flüchtlinge. Die Funktionalisierung der Entwicklungspolitik zum Mittel der Migrationsverhinderung stärkt die Diktaturen Afrikas, beliefert die Herrscher mit Waffen und stattet sie mit Geld aus, das diese im Zweifelsfall wieder in die Schweiz schaffen. Alle diese und weitere Maßnahmen opfern die europäischen Werte, von denen so viel die Rede ist, auf dem Altar einer perversen Lebensweise. Denn die unbeschwerten Kreuzfahrten im Mittelmeer sind wichtiger als die Leichen der Flüchtlinge, auf die man dabei mühelos hinunterschauen kann. Der Profit mit den Waffenlieferungen an Saudi-Arabien ist der Zentralwert dieser Gesellschaft, der es gleichgültig ist, dass seit Jahren ein brutaler Krieg von Saudi-Arabien gegen die Bevölkerung des Jemen geführt wird. Aber mit den Berufsvorbereitungsklassen Sprache sind wir thematisch bei der üblicherweise gemeinten Bedeutung von Integration. Sie bezieht sich auf die Integration von zugewanderten Personen. Dass es sich um Personen handelt ist die erste wichtige Erinnerung in diesem Zusammenhang, denn normalerweise ist nur von Gruppen, Kollektiven und Massen im Plural die Rede. Allein diese Modifikation schafft Raum für pädagogisches Nachdenken. An die Stelle des Kollektivbildes tritt der individualisierende Blick auf das Kind und den Jugendlichen. Mit diesem Beginn einer pädagogischen Reflexion möchte ich Platz schaffen für einen produktiven Umgang mit Migrationsfolgen. Denn gerade in der hysterisch aufgeheizten Stimmung nach dem Sylvester 2015 sind vor allem Kollektivbilder verstärkt worden, die die konventionellen Stereotypen ins Gigantische gesteigert haben. Das Bild von der Überflutung, von brechenden Dämmen gegen die Invasion oder die Verbindung von Gewalt, Terror und jungen Flüchtlingen ist so stark geworden, dass alles, was politisch über lange Zeit undenkbar war, mühelos durchgesetzt werden kann. Im Notfall, wenn er nur erklärt ist, ist der kurze Prozess legitimiert. Das Verlangen des österreichischen Außenministers nach dem Schießbefehl gegen Flüchtlinge ist nur die ultima ratio einer Grenzsicherung, die streng nach nützlichen und unnützen Zuwanderern unterscheidet. Die Etablierung von Gefängnissen für Flüchtlinge in Griechenland, die Abwehr von Flüchtlingen durch brutale Internierung in Libyen mit europäischer Hilfe oder die ungeprüfte Ausweisung von Flüchtlingen in den türkischen Staat des Imperators – alle diese Maßnahmen dienen dem Kampf gegen Flüchtlinge. Die Funktionalisierung der Entwicklungspolitik zum Mittel der Migrationsverhinderung stärkt die Diktaturen Afrikas, beliefert die Herrscher mit Waffen und stattet sie mit Geld aus, das diese im Zweifelsfall wieder in die Schweiz schaffen. Alle diese und weitere Maßnahmen opfern die europäischen Werte, von denen so viel die Rede ist, auf dem Altar einer perversen Lebensweise. Denn die unbeschwerten Kreuzfahrten im Mittelmeer sind wichtiger als die Leichen der Flüchtlinge, auf die man dabei mühelos hinunterschauen kann. Der Profit mit den Waffenlieferungen an Saudi-Arabien ist der Zentralwert dieser Gesellschaft, der es gleichgültig ist, dass seit Jahren ein brutaler Krieg von Saudi-Arabien gegen die Bevölkerung des Jemen geführt wird.
  
-Aber ich möchte mich trotz oder vielleicht wegen dieses gesellschaftlichen und politischen Rahmens für pädagogische Überlegungen zur Schulsozialarbeit auf die Aspekte konzentrieren, die mir für die Formatierung eines pädagogischen Handelns wichtig erscheinen. +Aber ich möchte mich trotz oder vielleicht wegen dieses gesellschaftlichen und politischen Rahmens für pädagogische Überlegungen zur Schulsozialarbeit auf die Aspekte konzentrieren, die mir für die Formatierung eines pädagogischen Handelns wichtig erscheinen. \\
 Für die erste Beobachtung greife ich den Gedankengang zur Macht der Kollektivbilder wieder auf. Sie bezieht sich auf die Aufnahme von Flüchtlingen seit dem „Zuwanderungsjahr“ 2015. Insbesondere in der Wahrnehmung von Kindern und unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen beherrscht die Annahme von Traumata die kollektive öffentliche Anamnese. Auch diejenigen, die keinen jungen Flüchtling kennen oder mit ihm arbeiten, können sich auf Grund der Medienbilder und des öffentlichen Meinungsbildes sicher sein, dass traumatische Belastungen die Lebenssituation der Flüchtlinge kennzeichnen. Die Bilder, die die Medien transportieren, fokussieren nur auf dramatische Situationen, deren Bewältigung dem Beobachter als schier unmöglich erscheint. Zumindest müssten die Fliehenden in irgendeiner Weise „beschädigt“ sein. Die Formulierungen „viele sind traumatisiert“ oder „oft ist mit Flucht ein Trauma verbunden“ setzen die mediale Anamnese in eine scheinbar plausible Diagnose um. Für diejenigen, die in die pädagogische Arbeit mit jungen Flüchtlingen einsteigen, bedeutet das öffentlich markierte Vorausurteil eine Belastung, wissen sie doch, dass pädagogische Konzepte nur sehr begrenzt sind und tatsächliche therapeutische Bedarfe nicht abdecken können. Für die erste Beobachtung greife ich den Gedankengang zur Macht der Kollektivbilder wieder auf. Sie bezieht sich auf die Aufnahme von Flüchtlingen seit dem „Zuwanderungsjahr“ 2015. Insbesondere in der Wahrnehmung von Kindern und unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen beherrscht die Annahme von Traumata die kollektive öffentliche Anamnese. Auch diejenigen, die keinen jungen Flüchtling kennen oder mit ihm arbeiten, können sich auf Grund der Medienbilder und des öffentlichen Meinungsbildes sicher sein, dass traumatische Belastungen die Lebenssituation der Flüchtlinge kennzeichnen. Die Bilder, die die Medien transportieren, fokussieren nur auf dramatische Situationen, deren Bewältigung dem Beobachter als schier unmöglich erscheint. Zumindest müssten die Fliehenden in irgendeiner Weise „beschädigt“ sein. Die Formulierungen „viele sind traumatisiert“ oder „oft ist mit Flucht ein Trauma verbunden“ setzen die mediale Anamnese in eine scheinbar plausible Diagnose um. Für diejenigen, die in die pädagogische Arbeit mit jungen Flüchtlingen einsteigen, bedeutet das öffentlich markierte Vorausurteil eine Belastung, wissen sie doch, dass pädagogische Konzepte nur sehr begrenzt sind und tatsächliche therapeutische Bedarfe nicht abdecken können.
  Betrachtet man die herrschende Wahrnehmung, dann kann man ihre Besonderheit vor allem auf die lebensweltliche Fundierung der Wahrnehmungsmuster zurückführen. Im eigenen Erfahrungshorizont erscheinen die Bilder der Flucht als schrecklich, sie aktivieren Bewältigungsängste und, im Falle eines empathischen Nachvollzugs, starke Gefühle des hilflosen Ausgesetztseins. Weil in der Struktur der eigenen Lebenswelt die Ressourcen für die Bewältigung großer Belastungen noch nicht erlebt wurden, wird als einziges Bewältigungsmuster das des Traumas projiziert. In diesem Bild sind Ambivalenzen beseitigt, eine gefühlsbetonte Sicht auf das Kind überdeckt eine rationale Analyse. Das einzelne Kind kann nur noch als Fall von Hilfsbedürftigkeit wahrgenommen werden. Gegen diese Einseitigkeit soll ein pädagogisches Prinzip gesetzt werden, dass jedes Kind in seiner Handlungsfähigkeit, seinen Potentialen und Grenzen betrachtet werden soll. Die Schlussfolgerung lautet: Pädagoginnen und Pädagogen sollen bei ihrem Handwerk bleiben. Sie sind keine Therapeuten. Aber sie sind für die Gewährleistung von Schutzraum und Sicherheit für das Kind wichtiger denn je. Dies steht schon im Gegensatz zur erklärten Politik der Erzeugung von Unsicherheit für die Flüchtlinge, die neuerdings durch die Bank nur die einjährige Sicherheit des subsidiären Flüchtlingsstatus erhalten.   Betrachtet man die herrschende Wahrnehmung, dann kann man ihre Besonderheit vor allem auf die lebensweltliche Fundierung der Wahrnehmungsmuster zurückführen. Im eigenen Erfahrungshorizont erscheinen die Bilder der Flucht als schrecklich, sie aktivieren Bewältigungsängste und, im Falle eines empathischen Nachvollzugs, starke Gefühle des hilflosen Ausgesetztseins. Weil in der Struktur der eigenen Lebenswelt die Ressourcen für die Bewältigung großer Belastungen noch nicht erlebt wurden, wird als einziges Bewältigungsmuster das des Traumas projiziert. In diesem Bild sind Ambivalenzen beseitigt, eine gefühlsbetonte Sicht auf das Kind überdeckt eine rationale Analyse. Das einzelne Kind kann nur noch als Fall von Hilfsbedürftigkeit wahrgenommen werden. Gegen diese Einseitigkeit soll ein pädagogisches Prinzip gesetzt werden, dass jedes Kind in seiner Handlungsfähigkeit, seinen Potentialen und Grenzen betrachtet werden soll. Die Schlussfolgerung lautet: Pädagoginnen und Pädagogen sollen bei ihrem Handwerk bleiben. Sie sind keine Therapeuten. Aber sie sind für die Gewährleistung von Schutzraum und Sicherheit für das Kind wichtiger denn je. Dies steht schon im Gegensatz zur erklärten Politik der Erzeugung von Unsicherheit für die Flüchtlinge, die neuerdings durch die Bank nur die einjährige Sicherheit des subsidiären Flüchtlingsstatus erhalten. 
  
-Traumata und die Posttraumatischen Belastungsstörungen sind aber keine Erfindung. Nach Vergewaltigung, anderen Gewaltverbrechen und Kriegstraumata erkranken bis zu einem Drittel der Betroffenen an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Jörg M. Fegert und andere beobachten anhand einer systematischen „Übersicht zu Langzeitverläufen von Kriegsflüchtlingen, dass alle Studien höhere Raten an psychischen Auffälligkeiten berichteten; je methodisch aufwendiger jedoch die Diagnostik in den Studien war, desto geringer fiel die Rate an psychischen Störungen aus“ (Fegert u.a. 2015, S. 383). Die erste aktuelle Untersuchung in einer Erstaufnahmeeinrichtung in München kommt zu dem Ergebnis, dass 22% der untersuchten syrischen Kinder und Jugendlichen unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung litten und 16% unter einer Anpassungsstörung. Viel ausgeprägter sind andere gesundheitliche Beeinträchtigungen, und für die Therapie dieser Probleme wirkt sich der über lange Zeit verhinderte Zugang zu ärztlichen Leistungen extrem schädlich aus. +Traumata und die Posttraumatischen Belastungsstörungen sind aber keine Erfindung. Nach Vergewaltigung, anderen Gewaltverbrechen und Kriegstraumata erkranken bis zu einem Drittel der Betroffenen an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Jörg M. Fegert und andere beobachten anhand einer systematischen „Übersicht zu Langzeitverläufen von Kriegsflüchtlingen, dass alle Studien höhere Raten an psychischen Auffälligkeiten berichteten; je methodisch aufwendiger jedoch die Diagnostik in den Studien war, desto geringer fiel die Rate an psychischen Störungen aus“ (Fegert u.a. 2015, S. 383). Die erste aktuelle Untersuchung in einer Erstaufnahmeeinrichtung in München kommt zu dem Ergebnis, dass 22% der untersuchten syrischen Kinder und Jugendlichen unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung litten und 16% unter einer Anpassungsstörung. Viel ausgeprägter sind andere gesundheitliche Beeinträchtigungen, und für die Therapie dieser Probleme wirkt sich der über lange Zeit verhinderte Zugang zu ärztlichen Leistungen extrem schädlich aus.\\ 
-Für die pädagogische Arbeit ergeben sich aus diesen Beobachtungen zwei Schlussfolgerungen. So wie im Falle von Kindesmissbrauch benötigen Pädagogen und Pädagoginnen eine geschulte Sensibilität für die Wahrnehmung der Umstände, mit denen die Kinder nicht mehr zurechtkommen. Gefühle von Angst, Schutzlosigkeit, Kontrollverlust oder Hilflosigkeit kann man erkennen, ebenso regressive Vermeidungssymptome oder Übererregtheit. Pädagogen können dann rechtzeitig an andere Fachleute weiterverweisen und, was noch wichtiger ist, den Übergang begleiten.+Für die pädagogische Arbeit ergeben sich aus diesen Beobachtungen zwei Schlussfolgerungen. So wie im Falle von Kindesmissbrauch benötigen Pädagogen und Pädagoginnen eine geschulte Sensibilität für die Wahrnehmung der Umstände, mit denen die Kinder nicht mehr zurechtkommen. Gefühle von Angst, Schutzlosigkeit, Kontrollverlust oder Hilflosigkeit kann man erkennen, ebenso regressive Vermeidungssymptome oder Übererregtheit. Pädagogen können dann rechtzeitig an andere Fachleute weiterverweisen und, was noch wichtiger ist, den Übergang begleiten.\\
 Die zweite Schlussfolgerung zielt auf das pädagogische Handeln selbst. Denn dieses Handeln hat die Qualität, eine sichere Umwelt herzustellen, Verlässlichkeit zu gewährleisten, nicht-intervenierende Akzeptanz zu vermitteln oder wie es in einer Schweizer Untersuchung heißt: reaktive Co-Präsenz zu realisieren. Kinder sollen nicht überbehütet, sondern bis hin zu den Grenzen ihrer autonomen Handlungsfähigkeiten geachtet werden. Aber sie sollen sich des Schutzes sicher sein. Um eine solche Umwelt für das Kind zu ermöglichen, ist Pädagogik genug gefordert.  Die zweite Schlussfolgerung zielt auf das pädagogische Handeln selbst. Denn dieses Handeln hat die Qualität, eine sichere Umwelt herzustellen, Verlässlichkeit zu gewährleisten, nicht-intervenierende Akzeptanz zu vermitteln oder wie es in einer Schweizer Untersuchung heißt: reaktive Co-Präsenz zu realisieren. Kinder sollen nicht überbehütet, sondern bis hin zu den Grenzen ihrer autonomen Handlungsfähigkeiten geachtet werden. Aber sie sollen sich des Schutzes sicher sein. Um eine solche Umwelt für das Kind zu ermöglichen, ist Pädagogik genug gefordert. 
-Womit wir uns zu Beginn der Beschulung von Flüchtlingskindern auseinandersetzen müssen, das ist das Muster der stereotypen Fehleinschätzung von Migrantenkindern. Wie das Stereotyp vom schlechten Schüler, dem nichts zugetraut wird und der nur entgegen der Einschätzung seiner Lehrer und Lehrerinnen Erfolg haben kann, hat das Stereotyp vom Migrantenkind die zurückliegenden Jahrzehnte bestimmt. Nach einer neueren Studie über bildungserfolgreiche Migrantenkinder muss man festhalten, dass sie überwiegend gegen die Schule ihren Erfolg erarbeitet haben. So heißt es in einer neuen Studie: „Wenn wir feststellen müssen, dass über die Hälfte unserer später als Jurist_innen, Unternehmer_innen  oder Lehrkräfte tätigen Interviepartner_innen am Ende ihrer Grundschulzeit keine Gymnasialempfehlung erhalten hatten und dass dennoch wiederum die Hälfte  ihren Weg über das Gymnasium gingen, um mit dem Abitur die Berechtigung zum Studium zu erreichen, dann ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass das Bildungssystem in weiten Teilen nicht in der Lage war, vorhandene Talente zu entdecken und gezielt zu fördern.“ (Lang/Pott/Scheider 2016, S.201) +Womit wir uns zu Beginn der Beschulung von Flüchtlingskindern auseinandersetzen müssen, das ist das Muster der stereotypen Fehleinschätzung von Migrantenkindern. Wie das Stereotyp vom schlechten Schüler, dem nichts zugetraut wird und der nur entgegen der Einschätzung seiner Lehrer und Lehrerinnen Erfolg haben kann, hat das Stereotyp vom Migrantenkind die zurückliegenden Jahrzehnte bestimmt. Nach einer neueren Studie über bildungserfolgreiche Migrantenkinder muss man festhalten, dass sie überwiegend gegen die Schule ihren Erfolg erarbeitet haben. So heißt es in einer neuen Studie: „Wenn wir feststellen müssen, dass über die Hälfte unserer später als Jurist_innen, Unternehmer_innen  oder Lehrkräfte tätigen Interviepartner_innen am Ende ihrer Grundschulzeit keine Gymnasialempfehlung erhalten hatten und dass dennoch wiederum die Hälfte  ihren Weg über das Gymnasium gingen, um mit dem Abitur die Berechtigung zum Studium zu erreichen, dann ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass das Bildungssystem in weiten Teilen nicht in der Lage war, vorhandene Talente zu entdecken und gezielt zu fördern.“ (Lang/Pott/Scheider 2016, S.201)\\ 
-Eine heutige Rechtsanwältin schildert ihre Schulzeit folgendermaßen: Nach fünf Jahren in einer sogenannten Vorbereitungsklasse (das ist die Form, die heute wieder eingerichtet wird) und nach vielen Versuchen, in die deutsche Klasse zu kommen, wird sie in die Hauptschule übernommen. +Eine heutige Rechtsanwältin schildert ihre Schulzeit folgendermaßen: Nach fünf Jahren in einer sogenannten Vorbereitungsklasse (das ist die Form, die heute wieder eingerichtet wird) und nach vielen Versuchen, in die deutsche Klasse zu kommen, wird sie in die Hauptschule übernommen.\\ 
-„Und dann hab´ ich jedes Jahr meine Lehrer angefleht, 6., 7., 8., 9. Klasse, jedes Jahr bin ich zu meinem Klassenlehrer gegangen und hab ihm gesagt: ‚Herr Soundso, ich möchte auf die Realschule!‘“ ….Da „hieß es, ‚Du wirst es nicht packen! Das ist viel zu schwierig für Dich!‘ Dabei war ich eine der Klassenbesten.“ (Lang/Pott/Schneider 2016, S. 85) +„Und dann hab´ ich jedes Jahr meine Lehrer angefleht, 6., 7., 8., 9. Klasse, jedes Jahr bin ich zu meinem Klassenlehrer gegangen und hab ihm gesagt: ‚Herr Soundso, ich möchte auf die Realschule!‘“ ….Da „hieß es, ‚Du wirst es nicht packen! Das ist viel zu schwierig für Dich!‘ Dabei war ich eine der Klassenbesten.“ (Lang/Pott/Schneider 2016, S. 85)\\ 
-Nach der 9. Klasse erhält sie ein Übergangszeugnis für die Realschule. +Nach der 9. Klasse erhält sie ein Übergangszeugnis für die Realschule.\\ 
-„Und das war mir dann einfach zu viel, das war die größte Enttäuschung meines Lebens. Und da hab´ ich zu meinen Eltern gesagt:  ‚Leute, ich will einfach nicht mehr. Ich liebe dieses Land, aber ich will ´ne bessere Bildung!‘ Und: ‚Schickt mich in die Türkei!‘ Das ist so´n Irrwitz, dass ich dann als jemand, der in Deutschland geboren ist, für´n Jahr in die Türkei geh´!“ (ebenda)+„Und das war mir dann einfach zu viel, das war die größte Enttäuschung meines Lebens. Und da hab´ ich zu meinen Eltern gesagt:  ‚Leute, ich will einfach nicht mehr. Ich liebe dieses Land, aber ich will ´ne bessere Bildung!‘ Und: ‚Schickt mich in die Türkei!‘ Das ist so´n Irrwitz, dass ich dann als jemand, der in Deutschland geboren ist, für´n Jahr in die Türkei geh´!“ (ebenda)\\
 Zu diesem Mechanismus gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen und Erfahrungen. Gerade die dauernde Rede vom Problem, Migrant zu sein, und von der großen Hilfsbedürftigkeit hat die „Bedrohung durch Stereotype“ („stereotype threat“) verstärkt. Das Bundesjugendkuratorium hat schon 2008 erklärt: „Am wichtigsten ist deshalb eine deutliche ‚Ent-kategorisierung‘, indem ‚Probleme‘ und ‚Missstände‘ nicht mehr mit Gruppenmerkmalen (‚AusländerIn zu sein‘) erklärt werden.“ (Bundesjugendkuratorium 2008, S. 11) Die Schlussfolgerung besteht natürlich nicht darin, das Stereotyp umzudrehen. Das wäre zu einfach. Anspruchsvoller, aber für eine Profession angemessen, ist die Forderung nach einer konsequenten Zuwendung zu jedem Kind und Jugendlichen, um genau das zu sehen, was es kann und was es nicht kann. Das bedeutet auch, dass sein konkretes Können, beispielsweise beim Sprechen und Schreiben, von den an das einzelne Kind gerichteten Anforderungen und vor allem von den individuellen Fortschritten her zu beurteilen ist und dass das Kind individuelle Belobigung und Kritik erfährt. Schulsozialarbeiter sollen die Lehrkräfte nun nicht über ihre Vorurteile belehren. Sie haben ja selbst welche – gelegentlich auch gegenüber Lehrern und Lehrerinnen. Aber das Wissen um die eigene begrenzte Perspektivität kann Grundlage für gemeinsame Erörterungen. Das macht den Reflexionsgewinn durch Schulsozialarbeit aus. Zu diesem Mechanismus gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen und Erfahrungen. Gerade die dauernde Rede vom Problem, Migrant zu sein, und von der großen Hilfsbedürftigkeit hat die „Bedrohung durch Stereotype“ („stereotype threat“) verstärkt. Das Bundesjugendkuratorium hat schon 2008 erklärt: „Am wichtigsten ist deshalb eine deutliche ‚Ent-kategorisierung‘, indem ‚Probleme‘ und ‚Missstände‘ nicht mehr mit Gruppenmerkmalen (‚AusländerIn zu sein‘) erklärt werden.“ (Bundesjugendkuratorium 2008, S. 11) Die Schlussfolgerung besteht natürlich nicht darin, das Stereotyp umzudrehen. Das wäre zu einfach. Anspruchsvoller, aber für eine Profession angemessen, ist die Forderung nach einer konsequenten Zuwendung zu jedem Kind und Jugendlichen, um genau das zu sehen, was es kann und was es nicht kann. Das bedeutet auch, dass sein konkretes Können, beispielsweise beim Sprechen und Schreiben, von den an das einzelne Kind gerichteten Anforderungen und vor allem von den individuellen Fortschritten her zu beurteilen ist und dass das Kind individuelle Belobigung und Kritik erfährt. Schulsozialarbeiter sollen die Lehrkräfte nun nicht über ihre Vorurteile belehren. Sie haben ja selbst welche – gelegentlich auch gegenüber Lehrern und Lehrerinnen. Aber das Wissen um die eigene begrenzte Perspektivität kann Grundlage für gemeinsame Erörterungen. Das macht den Reflexionsgewinn durch Schulsozialarbeit aus.
-5.1 + 
-Schließlich eine letzte Überlegung. In der World Vision Studie, in der Kinder interviewt wurden, finden wir die unterschiedlichsten Erfahrungen der Kinder. Sie verweisen uns erneut auf die Verschiedenheit der Welterfahrung hier an ihrem Lebensort. +Schließlich eine letzte Überlegung. In der World Vision Studie, in der Kinder interviewt wurden, finden wir die unterschiedlichsten Erfahrungen der Kinder. Sie verweisen uns erneut auf die Verschiedenheit der Welterfahrung hier an ihrem Lebensort. \\
 Jakob, ein Zehnjähriger aus dem Kosovo, berichtet von seinen schönen Träumen. „Doch statt sich wie andere Kinder seinen Träumen hinzugeben, wird Jakob von einer großen Angst beherrscht: dass er und seine Familie bald wieder in den Kosovo abgeschoben werden. Die Gedanken belasten ihn so sehr, dass er nachts kaum schlafen kann. ‚Nicht bisschen habe Stress, aber ganz viel‘, erklärt der Junge. Ein Bekannter hat ihm erzählt, dass die Polizei bevorzugt nachts komme, um die Familien abzuholen, und sie so, wie sie sind, wieder in das Herkunftsland zurückschicke.“ (S. 27) Jakob, ein Zehnjähriger aus dem Kosovo, berichtet von seinen schönen Träumen. „Doch statt sich wie andere Kinder seinen Träumen hinzugeben, wird Jakob von einer großen Angst beherrscht: dass er und seine Familie bald wieder in den Kosovo abgeschoben werden. Die Gedanken belasten ihn so sehr, dass er nachts kaum schlafen kann. ‚Nicht bisschen habe Stress, aber ganz viel‘, erklärt der Junge. Ein Bekannter hat ihm erzählt, dass die Polizei bevorzugt nachts komme, um die Familien abzuholen, und sie so, wie sie sind, wieder in das Herkunftsland zurückschicke.“ (S. 27)
-Eine Elfjährige, die aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet ist, fühlt sich sicher. „Ihr Schulweg führt Shirin jedes Mal über den Bahnhof. Sie lacht, wenn sie von den dortigen Verlockungen erzählt: Drogeriemarkt, 1-Euro-Shop und Donut-Laden. Nur zu gern würde Shirin ihr Taschengeld für Klamotten, Kosmetika und Süßigkeiten ausgeben……. Einer ihrer Lieblingsorte in der neuen Heimat ist die öffentliche Bibliothek. Hier leiht sie sich Bücher und Filme aus…… Nur unweit der Bibliothek liegt noch ein wichtiger Ort für Shirin: das Stadtzentrum mit seinen Geschäften – beliebter Treffpunkt junger Mädchen. Die Elfjährige liebt es, mit den Freundinnen durch die Straßen zu schlendern und sich die Schaufenster anzuschauen.“ (S.30)+Eine Elfjährige, die aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet ist, fühlt sich sicher. „Ihr Schulweg führt Shirin jedes Mal über den Bahnhof. Sie lacht, wenn sie von den dortigen Verlockungen erzählt: Drogeriemarkt, 1-Euro-Shop und Donut-Laden. Nur zu gern würde Shirin ihr Taschengeld für Klamotten, Kosmetika und Süßigkeiten ausgeben……. Einer ihrer Lieblingsorte in der neuen Heimat ist die öffentliche Bibliothek. Hier leiht sie sich Bücher und Filme aus…… Nur unweit der Bibliothek liegt noch ein wichtiger Ort für Shirin: das Stadtzentrum mit seinen Geschäften – beliebter Treffpunkt junger Mädchen. Die Elfjährige liebt es, mit den Freundinnen durch die Straßen zu schlendern und sich die Schaufenster anzuschauen.“ (S.30)\\
 Beides ist möglich – die Faszination durch die Konsumwelt und die Angst vor der nächtlichen Abschiebung. Auch Deutschland produziert gewaltsame Vertreibung, nämlich derer, denen wir hier kein Lebensrecht einräumen. Kinder und Jugendliche haben die Flucht nicht hinter sich, sondern sie stecken mittendrin. Auch die vielen Familien aus Syrien werden kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Wenn der Krieg tatsächlich beendet werden kann, dann wird genau jene Verdrängung stattfinden, die in Bezug auf Afghanistan schon begonnen hat. Das ist ja eine ganz brutale Form der westlichen Politik: Erst wird ein Land durch die Lieferung von Waffen und durch unglaubliche Mengen von Geld zum Aufstand getrieben, dann wird es bombardiert und sein Staat wird zerstört, weil die bezahlte Regierung nur ihre korrupten Geschäfte betreibt. Jetzt, da die Auflösung des Staates offenkundig wird und die Taliban einen Großteil des Landes beherrschen, sollen Flüchtlinge zurückkehren. Nach dem Jugoslawienkrieg waren ebenfalls viele Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland. Die meisten Familien sind in ihre Herkunftsländer zurückgegangen. Aber bis heute ziehen sich die Abschiebungen hin. Gelegentlich kommt dieser Skandal in die Öffentlichkeit, wenn sich ganze Schulen und Belegschaften gegen die Ausweisung von Familien zur Wehr setzen. Wie absurd sind diese Regelungen: Kinder leben hier unter Vorbehalt. Damit wird in elementarer Weise gegen die Kinderrechtskonvention verstoßen. Beides ist möglich – die Faszination durch die Konsumwelt und die Angst vor der nächtlichen Abschiebung. Auch Deutschland produziert gewaltsame Vertreibung, nämlich derer, denen wir hier kein Lebensrecht einräumen. Kinder und Jugendliche haben die Flucht nicht hinter sich, sondern sie stecken mittendrin. Auch die vielen Familien aus Syrien werden kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Wenn der Krieg tatsächlich beendet werden kann, dann wird genau jene Verdrängung stattfinden, die in Bezug auf Afghanistan schon begonnen hat. Das ist ja eine ganz brutale Form der westlichen Politik: Erst wird ein Land durch die Lieferung von Waffen und durch unglaubliche Mengen von Geld zum Aufstand getrieben, dann wird es bombardiert und sein Staat wird zerstört, weil die bezahlte Regierung nur ihre korrupten Geschäfte betreibt. Jetzt, da die Auflösung des Staates offenkundig wird und die Taliban einen Großteil des Landes beherrschen, sollen Flüchtlinge zurückkehren. Nach dem Jugoslawienkrieg waren ebenfalls viele Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland. Die meisten Familien sind in ihre Herkunftsländer zurückgegangen. Aber bis heute ziehen sich die Abschiebungen hin. Gelegentlich kommt dieser Skandal in die Öffentlichkeit, wenn sich ganze Schulen und Belegschaften gegen die Ausweisung von Familien zur Wehr setzen. Wie absurd sind diese Regelungen: Kinder leben hier unter Vorbehalt. Damit wird in elementarer Weise gegen die Kinderrechtskonvention verstoßen.
 Am Ende steht deshalb ein einfacher Satz. „Kinder haben ein Recht auf den heutigen Tag.“ Janusz Korczak hat ihn formuliert und damit ein zentrales pädagogisches Prinzip formuliert. Das ist natürlich ein Prinzip, das im schulischen Alltag des Lernens für das Leben in den Hintergrund gerät. Die Schulsozialarbeiterin kann es hervorholen und Raum schaffen für pädagogische Reflexion. Im Jetzt zu lernen und herausgefordert zu werden, im Jetzt zu spielen und fröhlich zu sein, im Jetzt traurig zu sein und nachzudenken – dies haben Pädagogen und Pädagoginnen zu gewährleisten und zu fördern, damit die Kinder in ihre Zukunft, von der wir und sie selbst nichts wissen, optimistisch und selbstbewusst gehen können. Am Ende steht deshalb ein einfacher Satz. „Kinder haben ein Recht auf den heutigen Tag.“ Janusz Korczak hat ihn formuliert und damit ein zentrales pädagogisches Prinzip formuliert. Das ist natürlich ein Prinzip, das im schulischen Alltag des Lernens für das Leben in den Hintergrund gerät. Die Schulsozialarbeiterin kann es hervorholen und Raum schaffen für pädagogische Reflexion. Im Jetzt zu lernen und herausgefordert zu werden, im Jetzt zu spielen und fröhlich zu sein, im Jetzt traurig zu sein und nachzudenken – dies haben Pädagogen und Pädagoginnen zu gewährleisten und zu fördern, damit die Kinder in ihre Zukunft, von der wir und sie selbst nichts wissen, optimistisch und selbstbewusst gehen können.
-Literatur+ 
 +**Literatur**\\
 Bundesjugendkuratorium (2008): Pluralität ist Normalität für Kinder und Jugendliche. Vernachlässigte Aspekte und problematische Verkürzungen im Integrationsdiskurs. Bundesjugendkuratorium (2008): Pluralität ist Normalität für Kinder und Jugendliche. Vernachlässigte Aspekte und problematische Verkürzungen im Integrationsdiskurs.
-Fegert, Jörg M.; Plener, Paul L.; Kölch, Michael (2015): Traumatisierung von Flüchtlingskindern – Häufigkeiten, Folgen und Interventionen. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens 4/2015, S. 380 – 389. + 
 +Fegert, Jörg M.; Plener, Paul L.; Kölch, Michael (2015): Traumatisierung von Flüchtlingskindern – Häufigkeiten, Folgen und Interventionen. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens 4/2015, S. 380 – 389. 
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 Lang, Christine; Pott, Andreas; Schneider, Jens (2016): Unwahrscheinlich erfolgreich. Sozialer Aufstieg in der Einwanderungsgesellschaft. (IMIS-Beiträge, Heft 49/2016). Osnabrück. Lang, Christine; Pott, Andreas; Schneider, Jens (2016): Unwahrscheinlich erfolgreich. Sozialer Aufstieg in der Einwanderungsgesellschaft. (IMIS-Beiträge, Heft 49/2016). Osnabrück.
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 World Vision Deutschland, Hoffnungsträger Stiftung (Hrsg.): Angekommen in Deutschland. Friedrichsdorf 2016. World Vision Deutschland, Hoffnungsträger Stiftung (Hrsg.): Angekommen in Deutschland. Friedrichsdorf 2016.
  
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 ====Trump – der Repräsentant des 21. Jahrhunderts====  ====Trump – der Repräsentant des 21. Jahrhunderts==== 
-**Statement in der „Initiative für politisches Vor- und Nachdenken“ (Auch auf Türkisch: Trump – 21. Yüzyılın Temsilcisi.** +**Statement in der „Initiative für politisches Vor- und Nachdenken“** (Auch auf Türkisch: Trump – 21. Yüzyılın Temsilcisi.
 In: PoliTeknik.de, 15. Ausgabe vom 15.2.2017, http://politeknik.de.)    In: PoliTeknik.de, 15. Ausgabe vom 15.2.2017, http://politeknik.de.)   
  
-Die meisten Medien begreifen Trump nicht, weil sie keinen Begriff von der Gesellschaft haben. Aber die modernen und miteinander globalisiert verbundenen Gesellschaften befinden sich in einer Dynamik, die als Übergang vom Kapitalismus zu einer neuen Form des Feudalismus bezeichnet werden kann. Thomas Piketty hat in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ gezeigt, wie sich die Verteilung des Reichtums in den entwickelten Gesellschaften derjenigen des 18. und 19. Jahrhunderts annähert. Der „digitalisierte Kapitalismus“ (Manuel Castells) lässt die demokratischen „Deformationen“ des 20. Jahrhunderts hinter sich und bezieht auch die aufstrebenden Gesellschaften in seine Dynamik mit ein. Nicht China ist reich, sondern die herrschende Clique. Doch nicht nur der Reichtum und die Armut verändern ihr Gesicht und die Gesellschaften, sondern auch die Kultur entledigt sich ihrer bürgergesellschaftlichen Fassaden und tritt roh als ordinäre Selbstbeweihräucherung der Herrschaft einerseits und als exquisite Stilisierung des Feinen der Wenigen andererseits hervor. +Die meisten Medien begreifen Trump nicht, weil sie keinen Begriff von der Gesellschaft haben. Aber die modernen und miteinander globalisiert verbundenen Gesellschaften befinden sich in einer Dynamik, die als Übergang vom Kapitalismus zu einer neuen Form des Feudalismus bezeichnet werden kann. Thomas Piketty hat in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ gezeigt, wie sich die Verteilung des Reichtums in den entwickelten Gesellschaften derjenigen des 18. und 19. Jahrhunderts annähert. Der „digitalisierte Kapitalismus“ (Manuel Castells) lässt die demokratischen „Deformationen“ des 20. Jahrhunderts hinter sich und bezieht auch die aufstrebenden Gesellschaften in seine Dynamik mit ein. Nicht China ist reich, sondern die herrschende Clique. Doch nicht nur der Reichtum und die Armut verändern ihr Gesicht und die Gesellschaften, sondern auch die Kultur entledigt sich ihrer bürgergesellschaftlichen Fassaden und tritt roh als ordinäre Selbstbeweihräucherung der Herrschaft einerseits und als exquisite Stilisierung des Feinen der Wenigen andererseits hervor.\\ 
-Die Irritation der meisten Medien, der Blick richtet sich lediglich auf die deutsche Szene, rührt aber zusätzlich daher, dass sie ihre Definitionsdominanz, die sie als vierte Gewalt unkontrolliert entwickelt haben, verlieren, weil ein demokratisch gewählter Herrscher zwar strukturell die Privatheit der Verfügungsgewalt über die Medien stabilisiert, inhaltlich aber sich von der „Wohlanständigkeit“ ihres und seines Selbstbildes verabschiedet. Hinzu kommt, dass die meisten „Qualitätsmedien“ in Deutschland der „US-amerikanischen Heuchelei“ (Stephen Mennell) über Frieden, Freiheit und Demokratie anhängen und als Vasallen des Imperiums seine Macht verteidigen. Sie stecken bei all ihrer Abneigung gegen den Stil des Imperators in dem Dilemma, dass sie über ihn berichten müssen und bei aller Ablehnung ihn und seine Handlungen immer bekannter machen und damit durch den Raum, den sie ihm einräumen, prominenter machen. Diesen Mechanismus hat Niklas Luhmann schon vor längerer Zeit analysiert, was aber nicht verhindert, dass in Deutschland beispielsweise die AfD mit jedem Furz, den einer ihrer Führer lässt, Themen und Beteiligungen an Talkshows bestimmt. Während der Stil Trumps verachtet wird, wird eine Politik, die sich in Bezug auf ihre Prioritäten nicht von der seiner Vorgänger unterscheidet, herbeigesehnt. +Die Irritation der meisten Medien, der Blick richtet sich lediglich auf die deutsche Szene, rührt aber zusätzlich daher, dass sie ihre Definitionsdominanz, die sie als vierte Gewalt unkontrolliert entwickelt haben, verlieren, weil ein demokratisch gewählter Herrscher zwar strukturell die Privatheit der Verfügungsgewalt über die Medien stabilisiert, inhaltlich aber sich von der „Wohlanständigkeit“ ihres und seines Selbstbildes verabschiedet. Hinzu kommt, dass die meisten „Qualitätsmedien“ in Deutschland der „US-amerikanischen Heuchelei“ (Stephen Mennell) über Frieden, Freiheit und Demokratie anhängen und als Vasallen des Imperiums seine Macht verteidigen. Sie stecken bei all ihrer Abneigung gegen den Stil des Imperators in dem Dilemma, dass sie über ihn berichten müssen und bei aller Ablehnung ihn und seine Handlungen immer bekannter machen und damit durch den Raum, den sie ihm einräumen, prominenter machen. Diesen Mechanismus hat Niklas Luhmann schon vor längerer Zeit analysiert, was aber nicht verhindert, dass in Deutschland beispielsweise die AfD mit jedem Furz, den einer ihrer Führer lässt, Themen und Beteiligungen an Talkshows bestimmt. Während der Stil Trumps verachtet wird, wird eine Politik, die sich in Bezug auf ihre Prioritäten nicht von der seiner Vorgänger unterscheidet, herbeigesehnt.\\ 
-Mit Trump regiert das Kapital selbst, es benötigt nicht mehr einen „Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Kapitalistenklasse verwaltet“, wie Karl Marx und Friedrich Engels die Staatsgewalt bezeichnet haben. Die scheinbar großzügige Geste, dass Trump auf das übliche Gehalt eines amerikanischen Präsidenten (das ja ohnehin im Vergleich zu den Managereinkünften lächerlich gering ist) verzichtet, wurde bis heute eher anerkennend und nicht als Ausdruck der Verachtung gegenüber einem Einkommen aus den Steuergeldern des Volkes, das in irgendeiner begründbaren Relation zur Tätigkeit steht, bewertet. Die mit einer „Entlohnung“ üblicherweise verbundene Verbindlichkeit, die Tätigkeit auch als vertraglich geregelte Beziehung der Wechselseitigkeit zu verstehen, ist aufgekündigt. Das Land gehört dem Herrscher so wie einem Feudalherrn. Der Herrscher sucht sich seine nächsten Lehnsherren und Bediensteten an der Wall Street aus, deren Lebenssinn ebenso lediglich am Profit orientiert ist. +Mit Trump regiert das Kapital selbst, es benötigt nicht mehr einen „Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Kapitalistenklasse verwaltet“, wie Karl Marx und Friedrich Engels die Staatsgewalt bezeichnet haben. Die scheinbar großzügige Geste, dass Trump auf das übliche Gehalt eines amerikanischen Präsidenten (das ja ohnehin im Vergleich zu den Managereinkünften lächerlich gering ist) verzichtet, wurde bis heute eher anerkennend und nicht als Ausdruck der Verachtung gegenüber einem Einkommen aus den Steuergeldern des Volkes, das in irgendeiner begründbaren Relation zur Tätigkeit steht, bewertet. Die mit einer „Entlohnung“ üblicherweise verbundene Verbindlichkeit, die Tätigkeit auch als vertraglich geregelte Beziehung der Wechselseitigkeit zu verstehen, ist aufgekündigt. Das Land gehört dem Herrscher so wie einem Feudalherrn. Der Herrscher sucht sich seine nächsten Lehnsherren und Bediensteten an der Wall Street aus, deren Lebenssinn ebenso lediglich am Profit orientiert ist.\\ 
-Auch wenn die demokratischen und rechts- und sozialstaatlichen Bedingungen die Entfaltung des modernen Feudalismus noch hemmen, kann ein Blick in Wikipedia (!) mehr die gegenwärtigen Verhältnisse beleuchten als die Lektüre der common-sense-Literatur. „Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden: Ein Landesherr überlässt seinen militärischen Gefolgsleuten zu deren materieller Versorgung die Nutzung von Teilen seines Landes einschließlich der darauf befindlichen Bewohner. Das feodum ist ein zum Lehen (also ein im anfänglichen Grundprinzip nur zur Leihe) übertragenes beneficium, also eine Wohltat im Sinne eines Liegenschaftsvermögens, welches nach seiner Bodenbeschaffenheit sowie personellen Ausstattung (samt der damit einhergehenden baulichen und gerätschaftlichen Ausstattung) dazu geeignet und bestimmt ist, Erträge zum Unterhalt des Lehnsinhabers zu erwirtschaften. Im Anschluss an die Lehensgüter entwickeln sich mit der Zeit herrschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten, die verrechtlicht werden und die den Personenkreis, der zur Landbewirtschaftung bestimmt ist (Bauern), von der gesellschaftlichen Organisationsgestaltung im Sinne einer staatlich-politischen Willensbildung ausschließen und gleichzeitig nach oben hin, zum obersten Landesherrn, der Entstehung einer geschlossenen Staatsverwaltung entgegenwirken“ – so weit Wikipedia. Die „Jobs“, die Trump besorgen wird, dienen der Akkumulation des Reichtums von einem Prozent der amerikanischen Bevölkerung. Und die mit „Jobs“ verbundenen Sozialleistungen können die demokratischen und sozialstaatlichen Leistungen des 20. Jahrhunderts, nämlich Sicherung einer freien Bildung, Versorgung im Krankheitsfall und im Alter, nicht erfüllen. Darauf hat Piketty nachdrücklich hingewiesen und argumentiert, dass diese Sicherungen zentral für demokratische Verhältnisse sind. +Auch wenn die demokratischen und rechts- und sozialstaatlichen Bedingungen die Entfaltung des modernen Feudalismus noch hemmen, kann ein Blick in Wikipedia (!) mehr die gegenwärtigen Verhältnisse beleuchten als die Lektüre der common-sense-Literatur. „Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden: Ein Landesherr überlässt seinen militärischen Gefolgsleuten zu deren materieller Versorgung die Nutzung von Teilen seines Landes einschließlich der darauf befindlichen Bewohner. Das feodum ist ein zum Lehen (also ein im anfänglichen Grundprinzip nur zur Leihe) übertragenes beneficium, also eine Wohltat im Sinne eines Liegenschaftsvermögens, welches nach seiner Bodenbeschaffenheit sowie personellen Ausstattung (samt der damit einhergehenden baulichen und gerätschaftlichen Ausstattung) dazu geeignet und bestimmt ist, Erträge zum Unterhalt des Lehnsinhabers zu erwirtschaften. Im Anschluss an die Lehensgüter entwickeln sich mit der Zeit herrschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten, die verrechtlicht werden und die den Personenkreis, der zur Landbewirtschaftung bestimmt ist (Bauern), von der gesellschaftlichen Organisationsgestaltung im Sinne einer staatlich-politischen Willensbildung ausschließen und gleichzeitig nach oben hin, zum obersten Landesherrn, der Entstehung einer geschlossenen Staatsverwaltung entgegenwirken“ – so weit Wikipedia. Die „Jobs“, die Trump besorgen wird, dienen der Akkumulation des Reichtums von einem Prozent der amerikanischen Bevölkerung. Und die mit „Jobs“ verbundenen Sozialleistungen können die demokratischen und sozialstaatlichen Leistungen des 20. Jahrhunderts, nämlich Sicherung einer freien Bildung, Versorgung im Krankheitsfall und im Alter, nicht erfüllen. Darauf hat Piketty nachdrücklich hingewiesen und argumentiert, dass diese Sicherungen zentral für demokratische Verhältnisse sind.\\ 
-Die Kultur der Herrschaft hat sich in der Figur des narzisstischen Trump schon weit entfaltet. Die Präsentation im Kreis der Familie in dem berühmten CNN – Interview am 11.November 2016 (an diesem Tag beginnt die Kampagne der Mainzer Fastnacht) und der Einzug mit dem ganzen Clan nach der gewonnenen Wahl am 9.11.2016, als „Siegesrede“ medial verherrlicht, realisiert eine Protzigkeit, wie sie einmal Fürstbischöfe und französische Könige entfaltet hatten. Die Obszönität der Reden dient der Anbiederung an die rohe Kultur reduzierter Zivilität, die Pracht der Repräsentation, von den Medien ins Wunderbare gesteigert, suggeriert eine Teilnahme durch Anschauung an der Macht für dasselbe Publikum. Viele Kommentare konzentrieren sich auf diesen doppelten Schein der Verkleidung der Macht, der Wandel der Teilhabe verbirgt sich ihnen. Welche Kultur der neue Feudalismus hervor bringt, kann man in Europa am Palast des Imperators Erdogan oder an dem im Stil einer Kathedrale (!) von Victor Urban gebauten Fußballstadion, einige Hundert Meter von seinem Geburtshaus entfernt errichtet, ablesen. Die Brosamen für das Volk werden verdeckt durch die Bewunderung der Herrschaftskultur. +Die Kultur der Herrschaft hat sich in der Figur des narzisstischen Trump schon weit entfaltet. Die Präsentation im Kreis der Familie in dem berühmten CNN – Interview am 11.November 2016 (an diesem Tag beginnt die Kampagne der Mainzer Fastnacht) und der Einzug mit dem ganzen Clan nach der gewonnenen Wahl am 9.11.2016, als „Siegesrede“ medial verherrlicht, realisiert eine Protzigkeit, wie sie einmal Fürstbischöfe und französische Könige entfaltet hatten. Die Obszönität der Reden dient der Anbiederung an die rohe Kultur reduzierter Zivilität, die Pracht der Repräsentation, von den Medien ins Wunderbare gesteigert, suggeriert eine Teilnahme durch Anschauung an der Macht für dasselbe Publikum. Viele Kommentare konzentrieren sich auf diesen doppelten Schein der Verkleidung der Macht, der Wandel der Teilhabe verbirgt sich ihnen. Welche Kultur der neue Feudalismus hervor bringt, kann man in Europa am Palast des Imperators Erdogan oder an dem im Stil einer Kathedrale (!) von Victor Urban gebauten Fußballstadion, einige Hundert Meter von seinem Geburtshaus entfernt errichtet, ablesen. Die Brosamen für das Volk werden verdeckt durch die Bewunderung der Herrschaftskultur.\\ 
-Die Sozialdemokratie hatte dagegen Teilhabe verstanden als Teilhabe am materiellen Reichtum der Gesellschaft und der Verfügung über ihre Produktionsmittel für alle; jetzt reduziert sie die Teilhabe auf den Kern der Industriearbeiterschaft, der 45 Jahre lang ununterbrochen einen Arbeitsvertrag „besaß“. Die neue nationale Herrschaft versteht unter „sozial“ dann nur doch die Teilhabe durch Medienkonsum und das „Soziale“ der neuen Medien, die ein isoliertes Individuum voraussetzen, als Zugehörigkeit durch folgenloses Twittern. Die Kontrolle dieser Medien ist schon den Besitzern der Medien übertragen und noch nicht einmal mehr der Staatsgewalt zugänglich. Und für den großen Markt China stellen die Besitzer diensteifrig dem Staat die Kontrollmechanismen zur Verfügung.+Die Sozialdemokratie hatte dagegen Teilhabe verstanden als Teilhabe am materiellen Reichtum der Gesellschaft und der Verfügung über ihre Produktionsmittel für alle; jetzt reduziert sie die Teilhabe auf den Kern der Industriearbeiterschaft, der 45 Jahre lang ununterbrochen einen Arbeitsvertrag „besaß“. Die neue nationale Herrschaft versteht unter „sozial“ dann nur doch die Teilhabe durch Medienkonsum und das „Soziale“ der neuen Medien, die ein isoliertes Individuum voraussetzen, als Zugehörigkeit durch folgenloses Twittern. Die Kontrolle dieser Medien ist schon den Besitzern der Medien übertragen und noch nicht einmal mehr der Staatsgewalt zugänglich. Und für den großen Markt China stellen die Besitzer diensteifrig dem Staat die Kontrollmechanismen zur Verfügung.\\
 Die „Kriege im 21. Jahrhundert“ (wie der von Rudolph Bauer herausgegebene Band betitelt ist) brauchen im US-amerikanischen Imperium keine weitere Modifikation. Sie sind schon in den vergangenen Jahrzehnten auf der Grundlage von Lug und Betrug entstanden und haben sich einen Kehricht um das Völkerrecht oder die Menschenrechte geschert. Für Europa gilt, dass diese feudalistisch-willkürliche Praxis mit dem Krieg gegen Serbien 1999 begonnen hat und nun als Aufrüstung gegen Russland und gegen die „Migrationsströme“ fortgesetzt wird. Wenn der industriell-militärische Komplex dem Präsidenten Trump erst einmal eingeredet hat, dass man mit Rüstung und Krieg Profit machen und „Jobs“ schaffen kann, dass auch das Niederrüsten im Kalten Krieg Profit einbringt, dann wird selbst die vermeintliche Sympathie für den russischen Präsidenten Putin schnell verdunsten.  Die „Kriege im 21. Jahrhundert“ (wie der von Rudolph Bauer herausgegebene Band betitelt ist) brauchen im US-amerikanischen Imperium keine weitere Modifikation. Sie sind schon in den vergangenen Jahrzehnten auf der Grundlage von Lug und Betrug entstanden und haben sich einen Kehricht um das Völkerrecht oder die Menschenrechte geschert. Für Europa gilt, dass diese feudalistisch-willkürliche Praxis mit dem Krieg gegen Serbien 1999 begonnen hat und nun als Aufrüstung gegen Russland und gegen die „Migrationsströme“ fortgesetzt wird. Wenn der industriell-militärische Komplex dem Präsidenten Trump erst einmal eingeredet hat, dass man mit Rüstung und Krieg Profit machen und „Jobs“ schaffen kann, dass auch das Niederrüsten im Kalten Krieg Profit einbringt, dann wird selbst die vermeintliche Sympathie für den russischen Präsidenten Putin schnell verdunsten. 
  
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